Wie kann man Wohnen, Einkaufen, Ausgehen, alltägliches Stadtleben und Prostitution in einem Viertel unterbringen? Kann so ein Nebeneinander funktionieren? Diese Frage wird in Aachen wieder einmal anhand des Nikolausviertels rund um Büchel und Antoniusstraße diskutiert. Insbesondere die Polizei, aber auch Oberbürgermeister Philipp haben ihre Bedenken in die Öffentlichkeit getragen. Die GRÜNEN bringen nun einen neuen Aspekt in die Diskussion.
Eine kleine Delegation der Aachener GRÜNEN ist kurzerhand nach Antwerpen gefahren, um sich anzuschauen, wie die Aufgabe dort umgesetzt wurde. Und kommt zu dem Schluss: Ja es geht, und zwar gut! Die Stadt Aachen möge sich doch ein Beispiel an der belgischen Metropole nehmen:
„Das Schipperskwartier in Antwerpen ist ein Altes Hafenviertel. Seine Lage ist ähnlich des Aachener Nikolausviertels altstadtnah, wenn auch nicht ganz so zentral“, beschreibt Melanie Seufert, sozialpolitische Sprecherin und Fraktionsvorsitzende der Aachener GRÜNEN, das Ziel der Exkursion. „Das Viertel war Ende der 90er Jahre erbärmlich heruntergekommen, ähnlich dem heutigen Bereich um Büchel, Mefferdatis- und Antoniusstraße. Ab 1999 haben sich lokale Akteure unter Federführung der Stadt Antwerpen zusammengesetzt, um ein Konzept für die Stadtviertelerneuerung zu entwickeln.“
Soziales Gefüge im Mittelpunkt des Konzepts
Dabei ging es nicht nur um die städtebauliche Sicht, sondern vor allem um das soziale Gefüge im Quartier. „Seit jeher findet hier Prostitution seinen Platz. Die Idee war, das Sex-Gewerbe nicht in einen Randbereich der Stadt zu verdrängen, sondern im Viertel zu integrieren – unter sichereren und transparenteren Bedingungen als bisher.“
Dazu wurde der Sperrbezirk ausgeweitet, Prostitution von 14 auf drei Straßen eingegrenzt. Ein Laufhaus für die Sexarbeiterinnen wurde errichtet – wie es auch für die Aachener Antoniusstraße geplant ist. „Natürlich ist das eine andere Dimension als bei uns – in den genannten Straßenzügen gibt es 280 „Fenster“, hinter denen rund 1370 Frauen in Schichtarbeit ihre Dienste anbieten. Dennoch ist das Prinzip auf Aachen in kleinerem Rahmen übertragbar“, so Seufert.
Verwaltung und Bürgermeister übernehmen Federführung
Die wohl wichtigste Erkenntnis aus dem Besuch: Die Antwerpener Stadtverwaltung hat das Projekt pragmatisch und mit klaren Grundsätzen gemanagt und für Kommunikation unter den Akteuren gesorgt. Schlichte, aber effektive Grundsätze waren:
- Keine kriminellen Randerscheinungen
- Keine Behinderung oder Einschränkung der umliegenden Wohnviertel
- Verbesserung der sozialen und gesundheitlichen Situation der Prostituierten
- Prostitution muss beherrschbar und kontrollierbar sein
„Unter diesen Prämissen hat der Antwerpener Bürgermeister die Entwicklungen erfolgreich begleitet und moderiert, nicht torpediert – so wie es Marcel Philipp mit seiner Standortdiskussion versucht“, kritisiert Melanie Seufert den Aktionismus der Aachener Verwaltungsspitze.Sprich: Strikte Regeln durch die Stadt, kein Zulassen von Zuhälterei, Mietverträge in Laufhaus und für die „Fenster“ werden direkt zwischen Prostituierten und Hausbesitzern abgeschlossen, ohne Mittelsmann. Über ein Computersystem melden die Frauen sich „bei Schichtbeginn“ an, so dass jederzeit transparent ist, welche Frau wo arbeitet – ob sie gemeldet ist, gültige Papiere hat etc. pp.
Polizeipräsenz und Vertrauensarbeit im Quartier
Kontrolliert wird das in Antwerpen durch die Polizei, die im Laufhaus eine kleine Wache betreibt. „Die Polizei zeigt dort Präsenz und hat durch ihre häufige Anwesenheit und durch stete Kommunikation mit den Sexarbeiterinnen und Vermietern eine gute Vertrauensbasis geschaffen. Gleichzeitig greift sie hart durch bei Verstößen gegen die geltenden Regeln.“ Das sehen die Aachener GRÜNEN als eine gute Lösung für die Antoniusstraße. In Aachen würde das Ordnungsamt diese Rolle stärker übernehmen und Hand in Hand mit der Polizei arbeiten.
„Das gesamte Konzept dort ist rund“, ergänzt Michael Rau, planungspolitischer Sprecher der Aachener GRÜNEN. Das Laufhaus mit integrierter Wache ist so gebaut, dass es keine „toten Winkel“, keine Sackgassen gibt, in denen im Ernstfall die Polizei „stecken bliebe“. Die Sträßchen sind mit versenkbaren Pollern abgesichert. Es gibt außerdem ein Gesundheitszentrum: Hier wurde in Kooperation mit Stadt, Betreiber und Krankenkasse ein einmaliges Angebot geschaffen. Nicht nur die Prostituierten, sondern jede Frau kann sich hier anonym beraten und behandeln lassen. Das Angebot nutzen inzwischen Frauen aus ganz Belgien.
Ein attraktives und lebendiges Stadtviertel
Und drumherum finden sich neu belebte attraktive Plätze wie der Sint Paulusplaats, Einkaufsstraßen, Wohn- und Geschäftshäuser. „Das ganze Viertel ist attraktiv“, so Rau. „Es ist lebendig, und urbanes Leben funktioniert Seite an Seite mit kontrollierter Prostitution. Das sollten sich die Aachener mal anschauen – Planungs- und Sozialpolitiker, aber auch die Polizei!“
Die GRÜNEN erhoffen sich mit ihrem Denkanstoß, dass die Debatte offener geführt wird und nicht nur zwischen den derzeit festgefahrenen Positionen changiert. „Wir wollen neue Aspekte in die Diskussion bringen und zeigen, dass es zwischen A und B auch noch eine ganze Reihe anderer Denkansätze gibt“, mit diesen Worten gibt Melanie Seufert den Ball zurück in die Runde der Diskutanten.