Im „GRÜNEN SALON“ diskutierten Fachleute am vergangenen Donnerstag, wie Liefersysteme der Zukunft aussehen können und was in Aachen geschehen muss, um die City trotz wachsender Verkehre zu entlasten. Das Interesse am Thema war da, der Veranstaltungsraum im café „zuhause“ trotz des verlockend schönen Wetters voll besetzt.
Die Lieferverkehre in unseren Innenstädten wachsen stetig, zum einen durch den Versandhandel via Internet, zum anderen bieten Händler vor Ort zunehmend Onlineshops und die Möglichkeit der Anlieferung nach Hause an. „Wie bewältigen wir diese ‚teure letzte Meile‘, den letzten Abschnitt, den die Ware zum Kunden zurücklegt? Dabei geht es nicht nur um die Reduzierung von Kosten, sondern vor allem auch von Emissionen – Schadstoffen in der Luft, aber eben auch „Raum-Emissionen“, dem Übermaß an Platzverbrauch“, führte Moderatorin Gisela Nacken in das Thema ein und übergab an Achim Kampker, RWTH-Professor und Geschäftsführer der streetscooter GmbH (jetzt zugehörig zur Deutschen Post).
Elektrifizierte Prozessketten im Transportwesen
Wie elektromobile Liefersysteme der Zukunft aussehen können, das beschrieb Kampker am Beispiel der Post-Tochter DHL, in deren Auftrag er als „Sonderbeauftragter e-mobility“ genau dieses Themenfeld erforscht und umsetzt. Dabei zeichnete er das große Bild und gab einen Überblick über die Prozesskette der Transporte, z.B. von den großen Seehäfen in Rotterdam und Antwerpen bis ins Hinterland und die weiteren Verteilungswege etwa ins Ruhrgebiet und darüber hinaus. Da die Bahn für die großen Logistiker keine wirkliche Alternative bietet – zu langsam, zu schwerfällig, zu schlechte Infrastruktur – setzt DHL auf eigene Elektrifizierung von Überland-Strecken und den Ausbau von Ladestationen für Elektromobilität.
Innerstädtisch wird differenziert: neben der schrittweisen Umstellung der Transporter-Flotte auf leise und emissionsarme Elektromobile made by streetscooter werden von der Post heute schon je nach Verteilungsgebiet alternative Transportmittel wie zum Beispiel E-Bike oder E-Trike eingesetzt (neben der bewährten Methode ‚zu Fuß‘ und per „konventionellem“ Rad).
Ameisen tragen 15faches Gewicht – Nutzlast versus Totlast
„E-Bike“ war das Stichwort für Jörg Albrecht, Inhaber von CLAC Citylogistik, der in Aachen einen Kurierdienst per Lastenrad aufbaut – mit und ohne elektronischen Antrieb. Als Konkurrenz zur Post sieht er sich dabei nicht, denn seine Lieferwege beziehen sich nur auf das Stadtgebiet, und es gibt auch keine Zwischenlagerung von Waren. „Das Konzept von CLAC kommt aus der Praxis“, erklärt Albrecht, der als erstes Standbein eine Medienagentur betreibt. „Viele meiner Kunden kommen aus dem Einzelhandel, und für viele von ihnen ist Logistik, Auslieferung und Warentransport ein großes Thema.“ Hier kommt CLAC als eine Möglichkeit ins Spiel. „Der Transport von Waren bis zu einer bestimmten Größe – bei uns sind es bis zu 100 kg Gewicht und 200 l Volumen – funktioniert per e-Lastenrad ganz problemlos. Insgesamt schätze ich, dass 50-80 % der Transporte in Aachen per Lastenrad bewegt werden könnten.“
Das so genannte „Ameisen-Elefanten-Prinzip“ spielt dabei eine große Rolle, denn: Ein Elefant ist zwar groß und schwer und kann viel tragen, aber sicher keinen anderen Elefanten. Die Ameise hingegen ist leicht, klein und wendig, und stemmt locker die 15fache Last ihres eigenen Gewichtes weg. „Tot- und Nutzlast-Prinzip“, so nennt sich das in der Fachsprache, und heißt auf unseren Verkehr übertragen: Ein LKW wird nicht automatisch kleiner, leichter und nimmt weniger Platz in der Stadt weg, nur weil er elektrifiziert fährt. Auch sind viele Transporter auf Auslieferfahrt oft nicht voll beladen, die Pakete im Innenraum haben ebenfalls ein überdimensionales Volumen in Bezug auf ihren Inhalt.
Viel Raum könne man einsparen, würde man hier konsequent optimieren und reduzieren, so Albrecht.
Händler und Kunden profitieren von Alternativen
Wie alternative Liefersysteme in der Praxis funktionieren, das beschrieb Michael Lerch, Geschäftsführer von Philipp Leisten 2.0, sehr anschaulich. Das Fachgeschäft für Berufsbekleidung beliefert unter anderem die kompletten Mensen und Wohnheime des Aachener Studentenwerks und setzt dabei auf den Lastentransportservice von CLAC: „Mit der Neueröffnung des alten Traditionsgeschäfts Philipp Leisten im Jahr 2013 wollten wir ein Zeichen setzen und haben uns bewusst für ein „sauberes“ Liefersystem entschieden. Seitdem haben wir mit Blick auf Kosten, Nutzen, Handhabung und Schnelligkeit nur Vorteile von dem System.“
Er könne, so Lerch, den Aachener Einzelhändlern nur empfehlen, sich ihre Lieferwege einmal genau anzuschauen und darüber nachzudenken, wo Optimierungspotenzial herrsche. Auch über Online-Shops solle man im Aachener Handel stärker nachdenken, denn „Klagen hört man zwar von vielen, doch der Wille, sich zu bewegen, könnte doch hier und dort stärker spürbar sein.“
Bremen und Utrecht als Vorbilder
In der folgenden Diskussion wurden vor allem Bremen und Utrecht als gelungene Beispiele dafür genannt, wie innerstädtische Liefersysteme emissionsarm funktionieren – etwa durch Umladestationen außerhalb der Innenstadt oder durch stärkere Restriktionen und Kontrollen. Politische Vorgaben sind an dieser Stelle oft hilfreich, um ein Umdenken sowohl im Handel als auch bei den großen Logistikdienstleistern zu erreichen.
Die Expertise der Referenten an diesem Abend ergänzte sich gut, Moderatorin Gisela Nacken führte souverän und kenntnisreich durch den Abend und die zahlreichen Wortbeiträge in der anschließenden Diskussion zeugten von großem Interesse im Publikum. Das übrigens kam, klar, zu einem Teil aus „GRÜNEN Kreisen“, aber es waren auch einige andere Multiplikatoren, etwa aus dem Einzelhandel und dem ADFC anwesend, gefreut haben wir auch über die Beiträge des städtischen E-Mobilitätsbeauftragten. Im gemütlichen Ambiente des „zuhause“ setzten sich auch nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung im lockeren Rahmen viele Gespräche zum Thema fort.