Einwanderungsgesellschaft gestalten

AG Europa, Frieden, Internationales tagte zum Thema Flüchtlingspolitik. Günter Schabram, früherer Sozialdezernent der Städteregion, referierte dazu, mit anschließender Diskussion.

Es ist das Thema, das viele Menschen, auch uns GRÜNEN stark beschäftigt. Die Rede ist von Flüchtlingen: Menschen die aus unterschiedlichen Gründen nach Aachen kommen, um hier Schutz zu suchen.

Am Donnerstag 5. Februar 2015 tagte die AG  „Europa, Frieden, Internationales“ des OV Aachen zum Thema Flüchtlingspolitik. Es ging einerseits darum ein wenig Klarheit über die kommunalen Strukturen in der Städteregion Aachen und über die gesetzlichen Regelungen zu erhalten andererseits wollten wir politische Forderungen und Handlungsstränge für die Flüchtlingspolitik Ort diskutieren.
 
Am gleichen Tag brachte die Bundestagsfraktion der GRÜNEN einen Gesetzentwurf für ein modernes Einwanderungsgesetz auf den Weg, verbunden mit der Einladung an alle gesellschaftlichen Gruppe in den Diskurs darüber zu gehen, wie wir unsere Einwanderungsgesellschaft gestalten wollen.
 
Deutschland versteht sich zunehmend als Einwanderungsland
 
„Deutschland ist ein Einwanderungsland, das hat die Politik mittlerweile erkannt,“ erklärt Günter Schabram, ehemaliger Grüner Sozialdezernent in der StädteRegion. „Diese Erkenntnis hat sich nun auch zunehmend in den gesetzlichen Regelungen zum Lebensunterhalt, Arbeit und Aufenthaltsrecht durchgesetzt. Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde in den Neunziger Jahren auf Bundesebene von CDU, FDP und SPD zur Abschreckung von Zuwanderern verabschiedet. Die Flüchtlinge bekamen deutlich weniger als Sozilahilfe und viele Leistungen als reine Sachleistungen, in Form von Essensscheinen usw. 2012 beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass dieser menschenunwürdige Umgang verfassungswidrig ist. Jetzt steht den Flüchtlingen genau so viel zu wie allen Hartz IV- und Sozialhilfeempfängern. Auch die Arbeitsbedingungen haben sich verbessert. Früher gab es ein 15-monatiges Arbeitsverbot. Arbeit durfte nur angenommen werden, wenn sich kein Deutscher oder EU-Bürger auf den Arbeitsplatz bewarb. 2014 wurde das Verbot auf drei Monate verkürzt. Ein weiteres Problem waren bislang auch die langjährigen Duldungen, die teilweise bis zu 20 Jahre liefen. Künftig soll es eine Regelung geben, die ein Aufenthaltsrecht vorsieht, wenn man sich gut integriert hat, z.B. durch einen Schulabschluss oder indem man selbst für den Lebensunterhalt aufkommen kann.”
 
Junge Flüchtlinge sind wissbegierig
 
Einen besonderen Status haben die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die es in hoher Anzahl  nur in wenigen Städten in NRW wie Aachen, Dortmund und Kempen gibt. Für sie ist das Jugendamt zuständig, es vertritt das Kindeswohl und sorgt für eine Unterbringung, meistens in Kinderheimen. Auch diese Jugendlichen unterliegen der Schulpflicht. Da viele keinerlei Deutsch-Kenntnisse haben, braucht es internationale Förderklassen an Schulen. “Obwohl schon viele solcher Klassen eingerichtet wurden, brauchen wir erheblich mehr zusätzliche Klassen, um alle minderjährigen Flüchtlinge unterzubringen,“ bemerkt Günter Schabram und erzählt weiter: „Ich kenne sehr viele, die mit den jungen Flüchtlingen zu tun haben und total begeistert sind. Sie werden als leistungsorientierte Schüler beschrieben. Vor allem junge Afghanen sind total wissbegierig. Selbst als der Bus beim ASEAG-Streik ausfiel, erschienen sie als einzige Schüler pünktlich zur Schule. Das hatten die Lehrer noch nie erlebt.”
 
Strukturelle Veränderungen dringend notwendig
 
Karl Weber, Fraktionssprecher von Bündnis 90/Die GRÜNEN in der Bezirksvertretung Eilendorf verwies auf die ungleiche Situation  von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und minderjährigen Flüchtlingen, die in Familien nach Deutschland kommen. Erstere seien unter Obhut des Jugendamtes, die anderen über das Sozialamt versorgt. Das schafft eine strukturelle Ungleichbehandlung.” Andere Teilnehmer nannten die Themen Gesundheitsversorgung und Traumaarbeit, wo es noch Verbesserungspotential gebe!
 
Zudem müsse es mehr Zusammenarbeit zwischen Schulen und anderen Bildungseinrichtungen geben, bemerkt Nurhan Karacak, Geschäftsführer der Sprachenakademie Aachen und Ehrenamtspreisträger der StädteRegion für die Bildungsarbeit mit jungen Flüchtlingen. Er fordert, dass an Schulen mit internationalen Förderklassen verstärkt auch normale Schulabschlüsse absolviert werden können. Außerdem brauche es mehr Fortbildungsangebote „Deutsch als Fremdsprache“ für Deutschlehrer*innen und ein Recht auf bezahlte Sprachkurse für geduldete Erwachsene.
 
Allgemein verbindliche Regeln schaffen, Bildungsarbeit ausbauen, Willkommenskultur stärken
 
„Wir brauchen einheitliche Leitlinien und Regelungen zum Umgang mit Flüchtlingen hier vor Ort (natürlich vor dem Hintergrund der Landesrichtlinien) und weitreichend politische Forderungen, wie wir unsere Einwanderungsgesellschaft gestalten wollen,“ lautete das Fazit der Runde. Insbesondere im Bildungsbereich (Übergangsmanagement, Sprachförderung etc.) müssen weitere Verbesserungen vorgenommen werden, denn Bildung ist der Schlüssel zur Integration.
 
Neben strukturellen Veränderungen ist eine Willkommenskultur für die Flüchtlinge von zentraler Bedeutung. Beispielhafte Arbeit hat das Eilendorfer Bündnis geleistet. Das Bündnis schaffte es, anfängliche Ablehnung in Vorfreude auf kulturelle Unterschiedlichkeit umzuwandeln.
 
Die AG “Europa, Frieden, Internationales” wird sich auch bei ihrer nächsten Sitzung mit dem Thema “Flüchtlingspolitik” beschäftigen”, dabei wird es in erster Linie darum gehen mit Profis aus dem Bereich der Flüchtlingsarbeit und Flüchtlingen selbst zu diskutieren, welche politischen Forderungen wir in Aachen Nachdruck verleihen müssen, um die Situation für die Betroffenen noch ein Stück zu verbessern, wie allgemein verbindliche Leitlinien zum Umgang mit Flüchtlingen aussehen könnten und wie jeder und jede Einzelne eine Willkommenskultur verwirklichen kann.

Melanie Seufert am 19.2.2015, Quelle: www.gruene-region-aachen.de

Studie der Bertelsmann Stiftung zur Willkommenskultur in Deutschland

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