Das Wahlprogramm auf einem Bierdeckel. Seit 15 Jahren ist Gisela Nacken für den Umweltschutz und die Stadtentwicklung in Aachen verantwortlich. Als Dezernentin polarisiert sie. Als GRÜNE steht sie für jene Realpolitik, in der viele keine Alternative mehr zu den etablierten Parteien sehen. Und doch zieht sie in den Wahlkampf.
Gisela Nacken hat den Ort für das Treffen ausgesucht. Das Restaurant am Elisenbrunnen. Menschen spazieren durch den kleinen Park, sitzen auf den Bänken und halten ihr Gesicht in die Sonne. Ein paar Touristen schauen sich das Archäologische Fenster an. Alles stimmig.
Wo, wenn nicht hier, hätte sie eine Vorlage, um über ihre OB-Kandidatur zu reden, über ihre politischen Erfolge als Planungsdezernentin? Es liegt ja praktisch hier vor der Glasfront, was sie als GRÜNE auf den Weg gebracht hat. Sie sagt das dann auch, in einem langen, etwas komplizierten Satz: „Wenn ich mir diese Fläche ansehe, dann glaube ich, dass ich mit GRÜNEN Themen punkten kann, also mit der Frage, wie bekommen wir mehr Aufenthaltsqualität und Grün in die Stadt, auch dahin, wo man nicht unbedingt konsumieren muss. Ich glaube, da habe ich schon eine Menge gemacht.“
Ein Gespräch über eine Kandidatur für einen wichtigen Posten kann richtig Fahrt aufnehmen, wenn Optionen im Raum stehen. Wenn nicht, dann wird es ein Austausch mit Auslassungen. Als die Zeitungen über Nackens Kandidatur berichteten, schoss die Häme durch die Leserbriefspalten. Dazu sagt sie: „Ich habe ein dickes Fell.“ Sie trinkt Milchkaffee.
Frau Nacken, Sie werden doch nicht Oberbürgermeisterin? Sie lächelt mild: „Ach, warten wir mal ab.“
Vorbelastet aufs Podium
Die Leute diskutierten öffentlich, wasNacken für das höchste Amt der Stadt qualifiziere. Denn dass sie als Kaiserplatz-Campusbahn-Dezernentin vorbelastet auf die Podien steigen wird, ist eigentlich so klar, wie der blaue Himmel heute über dem Elisengarten. Oder? Sie sagt, sie habe lange gebraucht, um sich dafür zu entscheiden.
Aber: „Ich bin die bekannteste GRÜNE. Mir ist wichtig für meine GRÜNE Fraktion, dass wir einen authentischen Wahlkampf machen und GRÜNE Politik danach auch im Rat vertreten können.“ Einige fragten, warum die Frau sich diesen Wahlkampf überhaupt antue. Viel Empörung von aufgebrachten Bürgern hat sie in den vergangenen zehn Jahren eingesteckt.
Bauhaus, Campus, Kaiserplatz, Campusbahn, Büchel, Templergraben, Tivoli – um wessen Interessen geht es eigentlich, wenn die Bagger rollen? Sie, als GRÜNE, musste sich in einen Pott schmeißen lassen mit der Obrigkeit, die mit viel Kapital das Sagen in der Stadt habe. Spätestens dann, wenn für ein Bauprojekt wieder Bäume gefällt wurden.
Sie, als bekannteste GRÜNE, steht auch für den Wandel in ihrer Partei und die Spannungen zur GRÜNEN Klientel – vom Verbesserungswillen aus Hausbesetzerzeiten zum Spielball der Investoren, von Basisdemokratie zum ewigen Sachzwang.
Frau Nacken, sind Sie eine gute GRÜNE? Jetzt muss sie lachen: „Das würden einige GRÜNE anders sehen.“ Sie nimmt vieles gelassen. Und jetzt wird sie wieder von den Laternenmasten lächeln. Das spricht für Steherqualitäten. Sie kann was aushalten.
Das hat sie früh gelernt, damals in Karken bei Heinsberg an der niederländischen Grenze. Da hat sie als junges Mädchen dem Vater politisch die Stirn geboten. Vielmehr noch den Freunden des Vaters. Denn die konnten nicht verstehen, dass die Tochter des langjährigen CDU-Kreistagsabgeordneten so aufmuckte und sich für alternative Politik stark machte. Den Kampf mit harten Bandagen hat sie als Studentin im Umfeld des Fachbereichs für Architektur gelernt.
Die Besetzung des Höverhaus war Teil ihrer Sozialisation. Dazu gehörte die Konfrontation mit Gewalt, Strafandrohungen oder das Risiko, persönlich verletzt zu werden. Nacken weiß, wie es ist, auf Demos zu frieren.
Bewusst kein Vereinsmitglied
Das Wahlprogramm auf dem Bierdeckel. Die Idee findet sie witzig. Als erstes denkt sie laut über Aachens Potenzial als Wissenschaftsstadt nach. Sie schreibt RWTH, FH und Solarcampus oben rechts und malt eine kleine Sonne dazu in die Ecke.
Die Sonne als Symbol für den Wandel, weg vom Ressourcenverbrauch, hin zur Hochtechnologie. 50.000 Studierende entsprächen einer Wirtschaftskraft von rund 40 Millionen Euro monatlich. Und – linke Ecke – das bedeute, sie würde als OB dafür Sorge tragen, dass die Studenten und Hochschulmitarbeiter hier auch wohnen und eine Familie gründen wollten.
Häuschen und Kinderwagen. Karl, die zweite große Aachen-Marke, platziert sie eher im Nebensatz, ein Gesicht mit Krone. Lokalkolorit bringt man mit Gisela Nacken nicht in Verbindung. Sie will Oberbürgermeisterin werden und ist in keinem Verein Mitglied – außer seit Ewigkeiten beim Frauennotruf.
Für manche mag das gar nicht gehen, diese Distanz, für andere könnte es gerade ein Grund sein, sie zu wählen. Konkret würde sie im Amt zum Beispiel in den Campus-Quartieren die „Mischnutzung“ vorantreiben. Soll heißen, am Campus West auch mehr Wohnraum schaffen und über eine engere Verzahnung mit der Stadt nachdenken. „Die jungen Menschen müssen hier auch wirklich ankommen. Dazu gehört auch die Frage, wie sie hier ihre Freizeit verbringen, welches Kulturangebot es gibt.“
Und so zeichnet sie zwei kleine Noten nach unten rechts, sinnbildlich für eine vitale Kulturszene. Die aktuelle Problematik unterschiedlicher Interessen rund um die Konzertlocations dürfe nicht dazu führen, Partyleben und Kultur auf die grüne Wiese zu verbannen. „Das sollte in der Stadt bleiben.“
Unten links dann ein Bus. „E-Mobilität ist für mich wirklich das Thema der nächsten Ratsperiode. Als OB würde ich viel dazu beitragen, dass wir den Umstieg in der Verkehrspolitik schaffen. Nicht nur im Öffentlichen Nahverkehr, sondern auch in der privaten Nutzung.“ Ausgehend vom Campus sieht sie vor ihren geistigen Augen den netzartigen Ausbau von Elektrobussen, Ladestationen für Car-Sharing-Autos und E-Bikes.
Draußen genießen die Leute die erste Wärme. So einen Platz will Gisela Nacken auch am alten Bushof hinter der VHS schaffen. „Das soll nicht nur eine große Bushaltestelle sein, sondern dort könnten wir eine ähnlich schöne Grünfläche anlegen wie beim Elisengarten.“ Sie malt ein paar angedeutete Blümchen und eine kleine Parkfläche. Kleine Wellen kommen hinzu – das alte GRÜNE-Projekt der Offenlegung der Bäche unter dem Aachener Pflaster.
Die Zeit ist knapp, die Dezernentin muss zum nächsten Termin. Zum Schluss: Wahlkampf im Tierreich. Welches Tier wäre Herr Philipp? „Hmm, welches Tier würde man mit einem Mann der Zahlen zusammenbringen? Das ist er für mich schon. Ein Rabe? Oder ein Fuchs? Naja, aber ein Fuchs steht ja für listig …“ Und Herr Jansen? „Ein Känguru, der hüpft so von Thema zu Thema.“ Und welches Tier wären Sie? “Bestimmt kein Löwe, bestimmt keins mit Krallen. Vielleicht eine weise Eule.“
Quelle: Klenkes Ausgabe 4/2014
Von Lutz Bernhardt