Kreativwirtschaft als Motor für Stadtentwicklung?

GRÜNE Mitglieder der AG Wirtschaft und AG Kultur auf gemeinsamer Exkursion nach Essen. Besuch des Kreativquartiers inklusive Unperfekthaus in der City-Nord.

BesucherInnen sind herzlich willkommen im Unperfekthaus
Einblick in eines der Ateliers
Aida Beslagic und Hermann Pilgram sind vom Konzept begeistert...
... ebenso wie Lisa Lang (Mitte) und Uwe Hittmeyer

Kann Kultur ein Motor der Stadtentwicklung sein? Kann die Kreativwirtschaft Impulse geben, um soziale und wirtschaftliche Prozesse in Gang zu setzen, die dem Problem des Leerstandes von Ladenlokalen und Häusern entgegenwirken und Stadtteile „wiederbeleben“?

Diese Fragen beschäftigen die Arbeitskreise Wirtschaft und Kultur der Aachener Grünen schon seit einiger Zeit. Eine Exkursion nach Essen ins Kreativquartier Nord-City sollte Hinweise zur Beantwortung geben. Besucht wurden das „Unperfekthaus“, die Kreuzeskirche und das Generationenkult-Haus mit dem Konsum-Reform-Cafe und dem Panorama-CoWorking.

Das Unperfekthaus ist sicherlich das interessanteste und bekannteste Projekt im Kreativ-Quartier Nord-City. Gegründet wurde es 2004 vom Essener IT-Unternehmer Reinhard Wiesemann. Die Idee war und ist, ein offenes Haus zu schaffen, das Räume zur kreativen Betätigung und zur Begegnung bietet. Dafür stehen in dem ehemaligen Kloster rund 4.000 qm zur Verfügung, verteilt auf sieben Geschosse. Im Erdgeschoss ist ein Restaurant mit Buffet, in jedem Geschoss stehen den Nutzern Zapfanlagen für Getränke zur Verfügung.

Wer einen Raum regelmäßig über einen längeren Zeitraum nutzen will, meldet sich oder seine Initiative als „Projekt“ an. Wenn Platz ist und das Projekt einige Grundregeln akzeptiert, bekommt es einen Projektraum. Viele Projekte teilen sich auch Räume. Neben den Projekträumen, die zum Beispiel als Ateliers oder Werkstätten genutzt werden, gibt es auch sogenannte Fachräume, das sind zum Beispiel Seminar- oder Probenräume, die mit entsprechender Infrastruktur ausgestattet sind. Die Benutzung der Räume ist im Grundsatz kostenlos, es werden aber Umlagen für Reinigung und Getränke erhoben. Wichtig ist, dass die Projekte bereit sind, ihre Räume für die Besucher des Hauses zu öffnen.

Die Besucher spielen nämlich beim Konzept des Hauses eine zentrale Rolle: Sie zahlen Eintritt und tragen damit zu Finanzierung bei. Die Höhe des Eintritts ist davon abhängig, wie lange der Besuch dauert und ob sie auch das Angebot des Restaurants nutzen wollen. Besucher sind gleichermaßen zufällige Passanten oder Menschen, die das Haus und die dortigen Aktivitäten gezielt besichtigen wollen. Leute, die dort etwa in einer Werkstatt etwas kaufen wollen oder aber auch Gäste, die auf der Terrasse ein Buch lesen, Musik machen, Spielen oder sich sonst wie betätigen wollen.

Eine dritte Nutzungsvariante sind Anmietungen für Seminar, Vorträge, Feiern und andere Veranstaltungen. Für deren Teilnehmer ist sogar ein kleines Hotel angeschlossen.

GenerationenKult-Haus mit Konsum-Reform-Cafe und Panorama-CoWorking

Auch das GenerationenKult-Haus ist eine Idee und Initiative von Reinhard Wiesemann. Es liegt nur wenige Minuten vom Unperfekthaus entfernt. Eine typische 60er Jahre-Büroimmobilie wurde zu einem Mehrgenerationen-Wohnhaus umgebaut, in dem man sowohl individuell in eigenen Appartement wie auch in einer Wohngemeinschaft leben kann.

Es geht hier allerdings nicht nur um das gemeinsame Wohnen von Menschen unterschiedlichen Alters unter einem Dach. Ganz wichtig ist auch das Thema Aktivitäten/Arbeiten. Den Raum dafür bietet das Panorama-CoWorking im obersten Geschoss des Hauses. Hier können Schreibtische angemietet werden und auch die Bewohner können selbst hier arbeiten. Ein besonderer Reiz des Panorama-CoWorking ist der Blick über die Dächer der Stadt und die großzügigen Dachterrassen.

Eine große Küche und andere Einrichtungen wie eine Sauna oder ein Heimkino stehen allen Bewohnern und Nutzenr des Hauses zur Verfügung. Im Erdgeschoss des Hauses ist das Konsum-Reform-Cafe, eine Kombination von Cafe/Restaurant mit einem Secondhandladen.

Kreuzeskirche

Die unter Denkmalschutz stehende Kreuzeskirche ist das letzte erhaltene öffentliche Gebäude aus dem 19. Jahrhundert im nördlichen Teil der Essener Innenstadt. Im 2. Weltkrieg schwer beschädigt, wurde sie Anfang der 50er Jahre wieder aufgebaut. Seit einigen Jahren ist der Bau stark sanierungsbedürftig. Da die Kirchengemeinde nicht in der Lage war, die Sanierungskosten zu tragen, verkaufte sie das Gebäude 2013 zu einem symbolischen Preis an einen Essener Bauunternehmer, der sich verpflichtete, das Gebäude zu sanieren und dann an die Kirchengemeinde, den Kreativunternehmer Reinhard Wiesemann (s.o. Unperfekthaus) sowie das Forum Kreuzeskirche e.V. zu vermieten. Die Sanierung des Innenraums ist abgeschlossen, an der Gebäudehülle wird noch gearbeitet.

Das Besondere ist, dass die Kirche nach wie vor eine geweihte Kirche ist, in der regelmäßig die Gottesdienste der Gemeinde stattfinden. Daneben gibt es aber auch andere Nutzungen wie Vortragsveranstaltungen, Feiern, Konzerte aber auch Disco und Ähnliches. Die Kirche ist damit nicht nur Begegnungsstätte für die Gemeinde geblieben, sondern darüber hinaus zu einem Anziehungspunkt für viele andere Menschen im Stadtteil und auch darüber hinaus.

Kreativquartier City Nord

Wir haben bei der Reise nur einige wenige der Projekte im Kreativquartier Nord-City sehen können. Das, was wir gesehen haben, war aber sehr interessant und bietet viele Anregungen.

Am Anfang des Kreativquartiers City Nord stand eine Initiative von Künstlern, die 2010 forderten, ein leerstehendes Bürogebäude als Atelierhaus nutzen zu können. Bezahlbarer Raum für Kunst und Freiheit für kreative Experimentierfelder waren die Forderungen. Daraus entwickelte sich ein vom Kulturbüro der Stadt mit vielen Partnern getragene Entwicklungsinitiative. Die vorhandenen Kreativorte und Leerstände, die Kreativen zur Verfügung gestellt werden, sollen den Nährboden für Projekte bieten, die in den Stadtteil hinein und auch darüber hinaus ausstrahlen. Die drohende negative Entwicklung des Stadtteils soll umgekehrt werden. 2011 beschloss der Essener Stadtrat die nördliche Innenstadt zum Entwicklungsgebiet „Kreativquartier City Nord.Essen“ zu erklären. Damit wurde auch der Weg zu Fördertöpfen geöffnet.

Ob das Projekt letztendlich erfolgreich sein wird, lässt sich noch nicht sagen. Es ist aber gut auf dem Weg, die Zahl der Kreativorte wächst und das Viertel wird mehr und mehr als Kreativquartier bekannt, das Image ändert sich und die Angebote ziehen immer mehr Menschen an. Ganz wichtig ist dabei, regelmäßig Aktionen durchzuführen, die das Viertel bekannt machen, vor allem aber auch die aktive Bekämpfung von Leerständen, zum Beispiel, indem Kreative als Nutzer vermittelt werden.

Lässt sich das Konzept auf Aachen übertragen?

Jein. Auf den ersten Blick scheint Aachen in einigen Stadtteilen ähnliche Probleme zu haben, etwa was den Leerstand von Ladenlokalen angeht. Allerdings gibt es auch viele Unterschiede zu Essen, z.B. ist die Ursache des Leerstandes in Aachen oft nicht mangelnde Nachfrage, sondern die zu hohen Mieterwartungen der Hauseigentümer. Richtig ist aber, dass die kreative Nutzungen von Räumen in Stadtteilen tatsächlich negative Entwicklung umkehren und positive Entwicklungen bewirken kann. Hier fehlt es in Aachen daran, solche Potenziale systematisch zu erkunden und dann auch die Nutzung zu fördern. So richtig kümmert sich in Aachen niemand darum, es gehört auch nicht zum Aufgabenbereich des Kulturbetriebes. Konkret würde das auch bedeuten, dass Ordnungsamt, Bauaufsicht, Liegenschaftsverwaltung oder Feuerwehr nicht Probleme suchen, sondern helfen sollten, Probleme zu lösen, wenn irgendwo Kreativorte entstehen können. Gut ist, dass es auch in Aachen Menschen gibt, die inzwischen laut artikulieren, dass freie Kultur mehr Raum in der Stadt braucht, z.B. hier: https://www.unserac.de/initiativen/i/initiative/214.html

Hermann Josef Pilgram

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