Oliver Krischer zum Fahrverbotsurteil des Bundesverwaltungsgerichtes

Von den Stickoxid Grenzwertüberschreitungen sind Millionen von Menschen in Deutschland betroffen. Besonders Kinder und Kranke leiden in den Innenstädten unter schlechter Luft. Die Hauptquelle dafür sind die Diesel-PKW. Die Richter in Leipzig sagen: saubere Luft geht vor. Das ist ein wichtiges Signal für Gesundheit und Umwelt. Und es schafft endlich Rechtssicherheit.

 

Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN Bundestagsfraktion zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes:

 

Was hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden?
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat am 27.2.2018 entschieden, dass kommunale Fahrverbote für Dieselfahrzeuge nach geltendem Recht zulässig sind, wenn nur dadurch die Grenzwerte für gesundheitsschädliches Stickoxid (NOx) einzuhalten sind.1 Diese können somit in Luftreinhaltepläne von Städten und Regionen aufgenommen werden. Kommunale Fahrtbeschränkungen müssen verhältnismäßig ausgestaltet und umgesetzt werden. Die Einführung von Fahrverboten muss zudem gestaffelt ablaufen. Das heißt etwa für Stuttgart, das in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge betroffen wären – etwa bis zur Abgasnorm Euro 4. Diese Unterscheidung wiederum legt nahe, dass eine emissionsrechtliche Grundlage (Blaue Plakette) geboten ist, um Fahrzeuge zu differenzieren und Fahrtbeschränkungen zu kontrollieren.
Das BVerwG hat sich in der Revisionsverhandlung mit den Luftreinhalteplänen von Düsseldorf und Stuttgart befasst, das Urteil hat aber wegen der Stickoxidbelastung in etwa 70 deutschen Städten bundesweite Bedeutung. Werden Fahrtbeschränkungen eingeführt, sollen Ausnahmeregelungen etwa für Handwerker, Lieferdienste oder Krankenwagen gelten, wie dies auch heute schon in den Umweltzonen der Fall ist. Eine finanzielle Ausgleichspflicht für betroffene Autobesitzer gibt es nicht.

Wie bewerten die Grünen das Urteil?
Das Urteil des BVerwG schafft endlich Rechtsklarheit. Tausende Menschen, die seit vielen Jahren überhöhten gesundheitsschädlichen Belastungen durch Autoabgase ausgeliefert sind, können aufatmen, wenn das Urteil von den zuständigen Verwaltungen umgesetzt wird. Das haben jene Länder und Kommunen, in denen grüne Umwelt- und Verkehrsminister zuständig sind, bereits versichert. Für uns Grüne steht fest: Der Schutz von Leben und Gesundheit hat Vorfahrt vor den Interessen der Automobilindustrie und letztlich auch vor dem Eigentum der Autofahrer*innen.

Das Urteil ist zugleich ein schwerer Schlag für die Automobilindustrie. Eine Branche, die stets stolz auf ihre immer „besseren“ Verbrennungsmotoren verwiesen hat, muss eingestehen, dass die Masse ihrer Dieselmodelle die Luft in Städten verpesten und Fahrtbeschränkungen unterworfen werden. Damit ist die Zeit der Ausflüchte und Ausreden der Industrie vorbei. Mit dem Urteilsspruch des Bundesverwaltungsgerichts hat sich der Imageschaden rund um den Dieselskandal noch einmal vergrößert. Wir Grüne im Bundestag haben seit langem darauf hingewiesen, dass es nicht gelingen kann, den Dieselskandal einfach auszusitzen. Wir haben Bundesregierung und Automobilindustrie wiederholt dazu aufgefordert, schmutzige Diesel technisch auf Kosten der Hersteller nachzurüsten. Weil viele Menschen Tag für Tag auf ihr Auto angewiesen sind, muss dies jetzt schnell nachgeholt werden.

Das Urteil erhöht noch einmal den Druck auf die Bundesregierung, für eine einheitliche Rechtssituation zu sorgen und einen Flickenteppich unterschiedlicher kommunaler Regelungen in Deutschland auszuschließen. Das kann nur mit der Einführung einer blauen Plakette für emissionsarme Fahrzeuge als Fortsetzung der erfolgreichen grünen Plakette gelingen. Die vergangenen Jahre zeigen, dass die Einführung der Umweltzone das Feinstaubproblem wirksam gemindert hat. Nur mit diesem Instrument wird es den Kommunen möglich sein, die Stickoxidbelastung zu reduzieren und ihre Luftreinhaltepläne tatsächlich umzusetzen. Nur mit einer einheitlichen blauen Plakette lassen sich gegebenenfalls Fahrbeschränkungen kontrollieren und Ausweichverkehre, die an anderer Stelle die Menschen belasten, von vornherein verhindern. Gibt es eine solche bundeseinheitliche Kennzeichnung nicht, führt dies unweigerlich zu Chaos, da kein Dieselfahrer mehr weiß in welche Städte er noch einfahren kann, und in welche nicht. Klar ist zudem: Nur mit einer einheitlichen Plakettenordnung können auch sinnvolle Ausnahme- und Härtefallregelungen etwa für Handwerker und Anwohner realisiert werden.
Wie wird das Urteil umzusetzen sein?

Das ist in Gänze noch nicht abzusehen – die schriftliche Urteilsbegründung wird erst in ein paar Wochen vorliegen. Sicher ist: Zunächst werden viele betroffene Städte noch einmal genau überprüfen, in welchen Gebieten die gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte überschritten werden und wie weitreichend andere verkehrspolitische Maßnahmen dabei helfen können, die Grenzwerte für saubere Luft einzuhalten. In Berlin etwa wird seitens der grünen Verkehrssenatorin u.a. an ausgewählten Stellen getestet, ob eine Verflüssigung des Verkehrs mit Tempo 30 die Luftqualität ausreichend verbessert, damit Fahrtbeschränkungen ausbleiben können.

Sollten Fahrverbote für Diesel-Pkw notwendig werden, werden diese auf Gebiete mit überhöhter Stickoxidbelastung beschränkt werden. Zudem wird es Ausnahmeregeln etwa für Feuerwehrfahrzeuge oder Krankenwagen geben, analog wie es sie heute schon bei der grünen Plakette gibt. Damit kommt auf die Kommunen – sollte es keine bundeseinheitlichen Regelungen durch das Nichtstun der Bundesregierung geben - ein erheblicher bürokratischer und administrativer Aufwand zu.

Welche Konsequenzen müssen nun folgen?
Wenn das Diesel-Fiasko nicht weitergehen und immer neue Absurditäten hervorrufen soll, muss die Bundesregierung endlich handeln. Bisher spannt sie einen Schutzschirm über die Autoindustrie und nimmt dabei in Kauf, dass die Kund*innen die Gelackmeierten sind. Sie schreibt Briefe nach Brüssel, in denen sie kostenlosen ÖPNV in Städten ankündigt, die diesen gar nicht umsetzen wollen. Sie schüttet Milliarden aus für Förderprogramme, deren Wirksamkeit begrenzt ist.

Fakt ist: Den Wert von Millionen Diesel-Pkw kann nur eine konsequente Hardware-Nachrüstung – und zwar auf Kosten der Hersteller – erhalten. Eine Nachrüstung ist technisch und wirtschaftlich möglich und schnell umsetzbar. Das zeigt unter anderem ein Gutachten, das Prof. Wachtmeister für die Bundesregierung erstellt hat. Der nachträgliche Einbau von Abgas-Reinigungsanlagen mit einer Selective Catalytic Reduction (SCR)-Technologie kann den Ausstoß von Stickoxiden bei Dieselfahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 5 im Stadtverkehr um teilweise über 70 Prozent verringern, wie zuletzt eine vom grünen Landesverkehrsminister Winfried Hermann in Baden-Württemberg geförderte Testreihe des ADAC Württemberg ergeben hat. Die Große Koalition scheut bisher eine klare Entscheidung und stützt weitgehend die Ausreden der Autolobby. Diese hat bis heute keinerlei Verantwortung für den Dieselskandal übernommen und behauptet bis zum Beweis des Gegenteils, dass sie keine manipulierten Fahrzeuge auf den Markt gebracht hat. Richtig wäre es, Fehler und Vergehen endlich einzugestehen und die Nachrüstkosten vollständig zu tragen. Nur das ist verursachergerecht. Die Ausreden und Falschinformationen aus den Konzernzentralen müssen aufhören.

Das Urteil des BVerwG räumt der Bundesregierung noch einmal Zeit ein, um die Nachrüstung in geordnete Bahnen zu lenken und für Verbraucher*innen eine gute Lösung zu schaffen. Vor September 2019 dürfen im Fall der Stadt Stuttgart Euro-5-Fahrzeuge nicht mit Fahrverboten belegt werden, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, jetzt ihre gesamtstaatliche Verantwortung endlich anzunehmen. Sie muss eine Blaue- Plaketten-Regelung und mit einer Nachrüstrichtlinie die rechtliche Grundlage für saubere Diesel-Pkw schaffen. Die Absicht von Union und SPD, das Problem weiter auf den Schultern der Kommunen und der Verbraucher*innen abzuladen, darf sich nicht fortsetzen.
Sollten nicht zuerst schwere Lkw und Busse Fahrtbeschränkungen erfahren und nachgerüstet werden?
Seit Jahren liegen in knapp 70 Städten die Stickoxidwerte zum Teil gravierend über dem gesetzlichen Grenzwert, so unter anderem in München, Stuttgart, Hamburg, Köln und Düsseldorf. Hauptverursacher des giftigen Eintrags in die Atemluft sind Diesel-Pkw, die im Straßenbetrieb ein Vielfaches der zulässigen Stickoxidemissionen ausstoßen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes tragen diese 72,5 Prozent zur Stickstoffdioxid (NO2)-Belastung bei. Andere Fahrzeuge haben einen wesentlich geringeren Anteil. Busse z. B. machen im Bundesdurchschnitt nur vier Prozent der Emissionen des städtischen Verkehrs aus. Auch Lkw- und Lieferverkehr sind mit rund 19 Prozent deutlich weniger an der Luftbelastung beteiligt als die Diesel-Pkw.
Stickoxide reizen die Atemorgane, sind stark gesundheitsgefährdend und nach Angaben der Europäischen Umweltagentur allein in Deutschland für ca. 10.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich.

Wie hat die Bundesregierung auf das Umweltproblem schlechte Luft bislang reagiert?
Seit Jahren ist die schlechte Luftqualität in zahlreichen Städten bekannt. Gegen Deutschland und andere EU-Mitgliedsstaaten läuft deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren. Auch ist spätestens nach dem Eingeständnis von VW bekannt, dass Diesel-Pkw im normalen Betrieb mit Abschalteinrichtungen die Abgasnachbehandlung abstellen und dadurch deutliche größere Mengen Stickoxid ausstoßen. Auch bei weiteren Herstellern sind die sogenannten „Real Driving Emissions“ deutlich höher. Nach Angaben des Umweltbundesamtes hat ein Euro-5-Diesel-Pkw real durchschnittlich rund fünfmal höhere NOx-Emissionen im Vergleich zum gesetzlichen Grenzwert. Bei Euro-6-Diesel-Pkw liegen die realen NOx-Emissionen sogar um mehr als den Faktor 6 über dem Grenzwert (real: 507 mg NOx/km, Grenzwert: 80 mg NOx/km).

CDU/CSU und SPD weigern sich seit Jahren, Entscheidungen zu treffen, die dazu führen, dass die NOx-Grenzwerte in unseren Städten endlich eingehalten werden. Mit Diesel-Gipfeln, Sofortprogrammen und verzweifelten Briefen an die EU-Kommission hat sie bislang vor allem versucht, Öffentlichkeit und EU-Kommission zu beschwichtigen. Dass sie zuletzt sogar mit probeweisen kostenlosen ÖPNV Vorschlägen kommt, verdeutlicht die ganze Ratlosigkeit der Auto-Koalition aus CDU/CSU und SPD. Denn faktisch stellt sie sich bisher schützend vor die Autokonzerne, die Rekordgewinne verzeichnen und auch aktuell noch neue Fahrzeuge anbieten, die im Realbetrieb deutlich erhöhte Stickoxidwerte aufweisen. Einer echten Verkehrswende stellt sich die Bundesregierung weiterhin in den Weg. Städte und betroffene Anwohner lässt sie genauso im Stich wie die Besitzer manipulierter Diesel-Pkw.

Die geschäftsführende Bundesumweltministerin Hendricks hat in Reaktion auf das Urteil die Einführung einer Blauen Plakette „verlangt“ (übrigens nicht zum ersten Mal) – an dieser Aussage ist die nächste Bundesregierung und insbesondere die SPD zu messen. Gleiches gilt für Bundesjustiz- und Verbraucherschutzminister Maas (SPD). Er sieht die Autohersteller in der Pflicht, Dieselfahrzeuge nun nachrüsten. „Autofahrer dürfen nicht die Zeche zahlen für das Versagen der Autobranche." Es bleibt abzuwarten, ob die SPD sich weiterhin beim Thema Diesel-Skandal CDU und CSU unterordnet oder endlich im Interesse des Rechtsfriedens handelt.
Was machen andere Länder, z. B. unser Nachbarland Frankreich?

Frankreich hat ebenfalls in zahlreichen Ballungsräumen ein Problem mit schlechter Luft. Die französischen Autokonzerne haben ebenfalls jahrelang auf Dieselmotoren gesetzt, Diesel-Pkw haben noch höhere Marktanteile als in Deutschland erreicht. Doch für die dortige Regierung steht fest, dass es mit der Dieseltechnologie mittelfristig nicht mehr weitergeht. So strebt Paris an, dass Autos mit fossilen Verbrennungsmotoren bis maximal 2040 verkauft werden dürfen. Der Preis für Benzin und Diesel an der Zapfsäule wurde in Frankreich bereits angeglichen. Steuervorteile für Dieselfahrzeuge sollen insgesamt beendet werden. Öffentliche Stellen und Kommunen sind gesetzlich verpflichtet, ihre Fuhrparks anzupassen und sollen beispielsweise vorzugsweise Elektro- oder Hybridbusse anschaffen. Frankreich wird Geschwindigkeits-begrenzungen und bei hohen Luftverschmutzungswerten die Nutzung von Fahrzeugen mit fossilem Verbrennungsmotor temporär einschränken. Der Kauf von Elektrofahrzeugen wird mit bis zu 10.000 Euro bezuschusst, bis 2030 sollen 7 Mio. Ladestellen stehen. Geplant ist auch, öffentlichen Nahverkehr und Fahrradverkehr gezielt auszubauen.
Die schwarz-rote Bundesregierung in Deutschland ist von einem solch umfassenden Ansatz weit entfernt.

Was fordern die Grünen?
Wir Grüne fordern, dass die Luftreinhaltepläne umgesetzt werden, denn Bürger*innen haben ein Recht auf saubere Luft. Fahrverbote sind mit hoher Wahrscheinlichkeit in den am meisten belasteten Städten nicht vermeidbar. Solange keine technischen Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen erfolgen, tragen Bundesregierung und Autoindustrie direkt die Verantwortung für Fahrverbote.
Doch klar ist auch: Urteil hin oder her, so wie bisher geht es in der Verkehrspolitik nicht weiter. Damit Städte lebenswerter werden, Staus abnehmen und Menschen sicher und bequem von A nach B gelangen, braucht Deutschland eine Verkehrswende. Der Dieselskandal ist nur die krasseste Ausprägung einer grundsätzlich nicht mehr zeitgemäßen und einseitig auf die Interessen der Automobilindustrie ausgerichteten Verkehrspolitik. Insbesondere um die Klimaschutzziele zu erreichen, sind ein umfassender Richtungsschwenk und eine Stärkung umweltfreundlicher Verkehrsmittel notwendig. Wir Grüne wollen dazu die Investitionen in Bahn, ÖPNV, Radverkehr und Carsharing deutlich ausweiten und bswps. einen grünen MobilPass einführen, mit dem alle öffentlichen Verkehrsmittel einfach und unkompliziert nutzbar und miteinander kombinierbar werden.
Im Automobilbereich setzen wir auf eine Förderung der Elektromobilität und den konsequenten Abbau ökologisch schädlicher Subventionen ein wie etwa die Vergünstigung von Dieselkraftstoff.

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