Plastikfasten

Ein Tag ohne Plastik - gar nicht so einfach, aber machbar! Parteisprecherin Katrin Feldmann über ihren Selbstversuch.

Wir Leben im Zeitalter des Plastiks: Vom Kinderspielzeug bis zur Plastikdose, vom Gefrierbeutel über Funktionsbekleidung bis hin zur Kuscheldecke oder Zahnkronen. Plastik ist überall: In den Weltmeeren findet man inzwischen sechsmal mehr Plastik als Plankton. Selbst in unserem Blut ist Plastik nachweisbar!

Plastik stellt eine Gefahr für unseren Planeten und aufgrund giftiger Zusatzstoffe auch für unsere Gesundheit dar. Der Verbrauch von Kunststoffverpackungen hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Rund die Hälfte davon fällt beim täglichen (Lebensmittel-) Einkauf an. Jährlich werfen wir Deutsche im Durchschnitt 500 Kg Plastikmüll pro Person in die Tonne. Das liegt etwas unter dem EU-Schnitt, aber Europa ist die Abnehmerin für 1/4 des weltweit produzierten Kunststoffs. Dem Verpackungswahnsinn unserer Zeit wollte sich unsere Parteisprecherin, Katrin Feldmann entgegenstellen. Sie testete einen Tag, ob ein Leben ohne Plastik möglich ist. Das Ergebnis ist eindeutig!

Im Selbstversuch

Es ist früh morgens, ich gehe ins Badezimmer. Statt Duschgel und Bodylotion benutze ich Seife und Creme am Stück. Die Creme wird wie Seife benutzt, nur ohne Wasser. Beim Haarwaschmittel und Duschgels, die sonst noch zur Auswahl stehen und die in Kunststoff abgefüllt sind, habe ich zumindest darauf geachtet, Produkte ohne Silikone und Mikroplastikpartikel zu benutzen. Ich will meine Zähne putzen. Geht eigentlich nicht, die Zahnbürste ist aus Plastik und die Tube auch. Ich denke mir, es geht ja darum keinen neuen Plastikmüll zu produzieren, statt grundsätzlich auf Plastik zu verzichten. Ich mache eine Ausnahme. Im Internet finde ich später plastikfrei Alternativen für Zahnbürsten aus Bambus und Holz, hoffentlich lokal zu erwerben, denn Online-Handel setzt ja wieder viel Plastik in Bewegung. Und es gibt sogar Rezepturen Zahnpasta selbst herzustellen.

Hm. Ein Blick in den Kleiderschrank macht Mut. Ich hab noch nie auf Pelle aus Polyester gestanden, Baumwolle und Leinen überwiegen, aber in Jeans ist oft Elasten und gummizugfrei ist auch nicht alles, insbesondere nicht unten drunter. Aber, ich bin fast plastikfrei angezogen. Doch dann wird mir bewusst, dass der Anbau von Baumwolle Unmengen an Wasser verbraucht. Ist Baumwolle also wirklich die bessere Alternative zu Polyester? Und fair getradedet wäre ja noch besser, meine Kinder engagieren sich beim Betreiben eines Fair-O-Maten in der Schule bzw. achten beim Einkauf darauf. Faire Klamotten ist schwieriger, da gibt es schon Angebote, auch hier in Aachen, aber in der Breite hat sich der Einsatz für gute Arbeitsbedingung noch nicht durchgesetzt. Ok. Meine Bluse habe ich mir vor sechs Jahren gekauft, lange tragen ist auch eine Müllvermeidungsstrategie, denke ich mir.

Der Frühstückstisch wird gedeckt, Glas, Steingut, Holz und Porzellan und Stainles Steel beim Geschirr und Besteck. Unsere Austauschgäste aus Arlington staunten während ihres gesamten Aufenthalts, dass es in privaten Haushalten kein Plastikgeschirr, Einwegschalen und Alubehälter gibt. Uns, die einige Jahre in Kalifornien gelebt haben, sind dagegen die Müllberge z.B. beim Schulfrühstück gut erinnerlich. Die Müllvermeidungsstrategie in US-Mensen: “Göffel” aus Plastik und der Verzehr direkt aus der Verpackung.

Die Milch und der Joghurt für’s Müsli kommen bei uns aus Flaschen, genau wie der Saft und Marmelade. Müsli lagern wir in Porzellan, aus dem Laden kommt es in Pappe und Plastik. Dabei gibt es Geschäfte die Unverpacktes verkaufen – Übrigens auch ziemlich flächendeckend in Kalifornien, nur dass das nicht in erster Linie der Ökologie dient, sondern der Abfüllung in abstrus-großen Mengen  und: die meisten Kund*innen das Ganze in Plastiktüten oder Plastikdosen.

Beim Losgehen fällt mir das Schuhproblem auf: Die Sohlen sind aus Gummi und Kunststoff, das Obermaterial ist aus Leder. Ich recherchiere im Internet und entdecke einen neuen Konflikt: Plastik versus Leder. Ist Leder so viel besser? TierschützerInnen sagen ganz klar: Nein! Ich trabe in den Keller und hole meine veganen Klogs hoch, auch ein Mitbringsel aus Kalifornien, dessen Markenzeichen doch in der Masse eigentlich Plastik Flipflops sind. Aber jeder Jeck findet an der Westküste eine Nische:-)und Ideen und Innovation haben es leicht in einer probierfreudigen Umgebung, wie dem Golden State, wo ECO und ORGANIC bei immer mehr Menschen zum Alltag gehören.

Ich gehe also mit Rechercheverzögerung einkaufen. In der Bio-Abteilung des lokal angesiedelten Marktriesen nehme ich Abstand von der Bio-Gurke. Sie ist in eine Art Plastikstrumpf gepackt. Tomaten, Paprika alles in Plastik. Zum einpacken von losem Obst und Gemüse, eine Plastiktüte. Immerhin habe ich meinen Korb dabei, muss mir keine Plastik Tüte kaufen, die weniger kostet als eine Tüte aus Papier: Da stimmt doch was nicht. Plastik überall, beim Klopapier, beim Reis. Selig denke ich an die Bio-Kiste, aber selbst die ist aus Kunstoff und kommt mit dem Diesel-Kleintransporter vor die Haustüre. Aber es ist besser lokal und saisonal online einzukaufen und es sich mit einer Transporter liefern zu lassen, als wenn sich 50 Kund*innen im PKW auf dem Weg zum Biobauern machen, oder? Ich greife zur Bio-Ananas, aus Costa Rica- Hilfe der CO2 Ausstoß, uffz. Bewußt leben kann anstrengend sein – aber im Falle der Ananas auch extrem lecker.

Voller Hoffnung auf eine bessere Welt gehe ich in den Biomarkt. Doch nicht mal dort kann man einkaufen, ohne neues Plastik anzuschaffen. Warum eigentlich nicht? Ich frage nach. Der Verkäufer blickt mich fragend an und sagt „Keine Ahnung“. Wahrscheinlich konzentrieren wir uns, wenn überhaupt entweder auf Bio oder Fair-trade oder eben auf Plastikfreiheit. Man versucht einem Problem auszuweichen und gerät an das nächste. Und dann fragt man sich, ob Baumwolle besser ist als Polyester oder Leder besser als Kunststoff.

Ich versuche mein Glück auf dem nächsten Wochenmarkt. Es ist Freitag. In Burtscheid werde ich fündig. Die Händlerin reicht ihren Kunden selbstverständlich die Waren in Papiertüten über ihre Auslagen. Größeres packe ich direkt in den mitgebrachten Stoffbeutel. Den Milchkaffee und ein zweites Frühstück gibt es neben an, ganz ohne Verpackungsmüll … das ist zur Abwechslung mal einfach.

Streng genommen müsste ich Auto, Bus oder Rad stehen lassen, um wieder nach Hause zu kommen, alles auch mit Kunststoff. Zuhause meldet sich der Milchkaffee. Mensch: Selbst der Toilettensitz: Hartkunststoff, doch halt, im Keller gibt es einen Holzklodeckel auf der Gartentoilette, der Tag ist gerettet.

Abends fehlt mir die rechte Lust zu kochen und ich blättere im Flyer von Sushi-Lieferservice, aber auch da droht die Plastikgefahr. Plastikdosen, Alufolie und schlimmstenfalls noch Styropack – so 80ies. Das ist zwar im Hollywood Film witzig, wenn sich die Familie bei Sandra Bullock für das selbsteingekaufte Thanksgiving-Menue im Einwegpack bedankt, aber am Plastikvermeidungstag zuckt die umweltbewußte GRÜNE zusammen. Autsch, also ‘ran an den Herd …

Zur Entspannung nach dem Abendessen auf die Couch mit der abendlichen Lektüre – kein GRÜNER Termin, gibt es denn so etwas;-)? – Mein Taschenbuch hat einen wasserabweisenden Einband, ahhh, aber der Wein ist in der Flasche und der Korken ist auch noch echt. Die Schokolade ist wohl in Kunststoff eingeschweißt – aber mein Zahn mit der neuen Kunststoffkrone meckert nicht. Na dann: Prost!

Beim Zubettgehen wird es dann aber ohne Plastik gehen, denke ich, wäre da nicht die Blisterverpackung aus Kunststoff für meine abendliche Tablette. Ich wende mich trostsuchend meinem Mann zu, der gerade nebenan im Arbeitszimmer sitzt und nach einer Dienstreise kanadischen Dollarscheine feinsäuberlich in eine Umschlag packt, für die nächste Reise. Ratet mal woraus die sind? Aus Plastik … Ganz spannend, denn die Kanadier setzten auf Polymere, und berufen sich auf ein Life-Cycle-Assessment im Vergleich zum üblichen Banknoten Papier. Und da schnitt der Plastikschein besser ab, als das Baumwollpapier. Ich kontrolliere auf meinen Kunststoffwecker die Einstellung und küsse meine Mann (warme Lippen, kein kalter Kunststoff) und schlafe schneller ein, als ich dachte.

Plastikfrei leben – Mission impossible?

Mein Tag ohne Plastik. Ganz ohne Plastik ist ziemlich schwierig bis unmöglich. Meinen Müll zu reduzieren durch Mehrwegverpackungen, keine in Plastik verpackten Lebensmittel oder dem Verzicht auf Einkaufstüten hingegen spielend leicht, wenn man einmal weiß wie. Ich will Plastik nicht verdammen, im Gegenteil. Das Zeug ist viel zu wertvoll zum Wegwerfen und moderne Kunststoffe an vielen Stellen praktisch, schöner und auch manchmal auch ressourcenschonender (Stichwort: cradle-to-cradle). Aber gerade bei der eigenen Müllvermeidung geht es recht einfach: Es kommt auf einen Bewussten Umgang gerade mit Tüten und Plastikverpackungen an. Es erfordert manchmal einiges an Information, Planung und Zeit. Und Müllvermeiden hat etwas von Fasten. Man denkt die ganze Zeit darüber nach, aber: Nur wenig Müll zu hinterlassen und die Umwelt zu schonen, ist ein gutes Gefühl und mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Katrin Feldmann /Melanie Seufert

Zurück