Unter dem Motto „Artgerecht statt Massenhaft” veranstaltete die GRÜNE Fraktion in Aachen am 26.5.2015 ein Diskussionsforum in der Citykirche. Bei der Veranstaltung ging es um den unkritischen Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung.
Was tut die Politik und was können die Verbraucher tun? Über diese Fragen wurde aus den drei Blickwinkeln Krankenhaus, Politik und Bauernverband diskutiert. Auf dem Podium waren Prof. Dr. Sebastian W. Lemmen, Leiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie der Uniklinik Aachen, Wilfried Jansen, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Aachen und Dr. Thomas Griese, Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten des Landes Rheinland Pfalz und Mitglied im StädteRegionstag.
Weltweite Zunahme an Resistenzen gegen Antibiotika
Ende April 2015 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation einen alarmierenden Bericht über die weltweit steigende Zahl der Krankenhauserreger, gegen die Antibiotika wirkungslos sind und der damit einhergehenden Gesundheitsgefahr. Auch in deutschen Medien mehren sich die Nachrichten von antibiotikaresistenten Keimen in Krankenhäusern. Insgesamt 2 % der Erreger seien resistent, erläuterte Prof. Dr. Sebastian W. Lemmen. Für gesunde Menschen stellen Antibiotika-resistente Keime keine Gefahr dar. Das Risiko steige jedoch, wenn Menschen krank seien, so der Mediziner. Um gegen die Gefahr vorzugehen, hat das Bundesgesundheitsministerium im März 2015 einen 10 Punkte Plan zur Bekämpfung resistenter Erreger herausgebracht. Auch bei der G 7 stehe das brisante Thema auf der Tagesordnung.
Zu viel Antibiotikaeinsatz in der Human- und Tiermedizin
Die Hauptursache für die zunehmende Resistenzentwicklung sei die Anwendung bzw. Fehlanwendung von Antibiotika. „Jeder dritte Patient bekommt in Deutschland Antibiotika“, so Prof. Dr. Lemmen. Auch in der Tiermast werde zu viel Antibiotika eingesetzt, pro Jahr rund 1.400 Tonnen. Zwar sei der Einsatz insgesamt gesunken. Ein Erfolg? Nein, denn in der Massentierhaltung werden zunehmend so genannte Reserve-Antibiotika eingesetzt werden, die eigentlich der Humanmedizin vorbehalten sein sollten. Reserve-Antibiotika können niedriger dosiert werden, deswegen ist die Gesamtmenge an verordneten Antibiotika in der Tiermedizin runter gegangen, die Gefahr für den Menschen aber zugleich gestiegen.
„Hinzu kommt, dass die Pharmaindustrie aus wirtschaftlichen Gründen immer weniger Antibiotika entwickelt und deshalb die Weiterentwicklung des Wirkstoffes der Dynamik der Resistenzentwicklung hinterher hinkt“, fügte Dr. Griese hinzu. Außerdem mache der niedrige Antibiotikapreis das Arzneimittel zu einem immer häufiger eingesetzten Massenprodukt. Der übermäßige Einsatz von Antibiotika stelle insbesondere ein Problem einzelner Tierarten dar. Bei Rindern sei das weniger ein Problem, bei Schweinen mittelmäßig. Besonders belastet seien die Puten und Hähnchen. Wegen der engen Haltungsbedingungen werden diese Tiere häufiger krank.
Differenzierter und reduzierter Einsatz von Antibiotika erforderlich
Ein Fleischverzicht ist nicht für jeden eine Lösung. Doch wie kann gegen multiresistente Erreger vorgegangen werden? „Nur ein streng indizierter Antibiotikaeinsatz in der Human- und Veterinärmedizin wird die Resistenzentwicklung verlangsamen“, mahnte Prof. Dr. Lemmen einen sinnvollen Umgang mit Antibiotika an. Im Krankenhaus sei eine hohe Compliance mit der Händehygiene die wichtigste Präventionsmaßnahme. Darüber hinaus müsse es mehr Aufklärung in den entsprechenden Studiengängen geben. Insbesondere in Risikobereichen wie der Intensivstation, der Gefäßchirurgie oder der Diabetesstation sei ein Screening der Patienten sinnvoll, um herauszufinden welche Patienten mit Risikokeimen belastet sind und entsprechende Präventionsmaßnahmen (z.B. Isolierung des Patienten) einleiten zu können.
„Der Einsatz von Reserveantibiotika, das auch beim Menschen Anwendung findet, muss in der Mast verboten werden“, forderte Dr. Griese. „Diese Antibiotika sind eigentlich ausschließlich als Notfallmedikament für Menschen gedacht und dürfen nicht als Billigware verramscht werden. Analog zum Preisgestaltungssystem von Humanarzneimitteln dürfen keine Mengenrabatte auf Antibiotika für die Tiermedizin erlaubt sein. Der Tiermediziner darf nicht zeitgleich auch der Medikamentenverkäufer / Händler sein und es gilt den von der EU geplanten Internethandel mit Tierarzneimitteln zu verhindern“, so der Politiker.
Nutztierhaltung verbessern
Wie sollen wir mit den Tieren umgehen? Die Antwort der Runde lautete: Nicht über sie herrschen, sondern Verantwortung übernehmen. „Derzeit existieren keine gesetzlichen Mindeststandards für die Putenhaltung“, kritisiert Dr. Griese die zu enge Käfighaltung. Es werden 4,5 Hennen pro qm gehalten, bei Masthennen seien es 20 Tiere auf einen qm. Realistisch sei eine stufenweise Vergrößerung der qm, ansonsten sei die Preissteigerung zu groß. Um die Zustände zu verbessern und Problembetriebe zukünftig besser ausfindig machen zu können befindet sich das Arzneimittelgesetz derzeit in der Überarbeitung (16. Novelle). Darin enthalten ist eine flächendeckende Erfassung des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung. Die jeweils zuständige Behörde kann Anforderungen an die Haltung der Tiere erlassen und die Einhaltung der Antibiotika-Leitlinien kontrollieren.
Dass mehr Auflagen nicht unbedingt sinnvoll seien, mahnte der Vorsitzende der Kreisbauernschaft Wilfried Jansen an. „In Deutschland herrschen bereits starke Auflagen. Werden diese ausgebaut, führt das zu einem verstärkten Export der landwirtschaftlichen Produktion in Länder, in denen keine Auflagen herrschen. Das ist keine Lösung des Problems. Der Markt ist die überherrschende Macht, die Qualität schwierig macht. Nicht allein die Produzenten sind schuld, sondern auch die Verbraucher. Unter einer “Geiz-ist-Geil-Mentalität” könne es keine qualitative Tierhaltung geben. Im Kampf gegen die Resistenz müssen alle Beteiligten Verantwortung übernehmen: Ärzte- und Tierärzte, Bauern, Krankenhäuser, Verbraucher, Politiker. Nur gemeinsam kommt man ans Ziel. Dafür braucht es auch einen Dialog auf Augenhöhe zwischen Bauern und Politikern.“
Entscheidungsgewalt der Verbraucher stärken
In einem sind sich die Diskutanten einig: Ein entscheidender Machtfaktor, um das System der Nutztierhaltung zu verändern, ist der Verbraucher. Denn dieser demonstriert seine Macht mit jedem Kauf. Um die Entscheidungsgewalt der Verbraucher zu stärken müsse es mehr Transparenz an der Ladentheke geben. Seitdem es die Kennzeichnung von Eiern aus Käfighaltung gebe, sei deren Konsum drastisch zurückgegangen, so Dr. Griese. Deshalb müsse es weitere politische Maßnahmen geben, zum Beispiel die Tierhaltungsform auch auf Frischfleischverpackungen zu drucken, die Tierschutzlabels zu unterstützen und den ökologischen Landbau weiter zu fördern.
Melanie Seufert