275.000 voll beladene Sattelschlepper, dicht an dicht gereiht von Düsseldorf bis Lissabon und wieder zurück (4.600 km): Das sind die 11 Mio. Tonnen genießbarer Lebensmittel, die nach konservativen Schätzungen in Deutschland jährlich im Müll landen.
Moderiert von unseren LandtagskandidatInnen Lukas Benner und Eva Malecha stellte Christian Walter vom Aachener Bündnis „Containern ist kein Verbrechen“ am vergangenen Donnerstag im Centre Charlemagne die Gründe für diese immense Vergeudung dar. Die finden sich sowohl bei Produzierenden als auch bei Konsumierenden:
„Das sind etwa gesetzliche Produktionsnormen, aber auch interne Richtlinien, nach denen alles, was aus der Reihe fällt, bereits in der Ernte aussortiert wird: Die berühmte „ungerade“ Gurke, oder Orangen, die nicht orange genug sind, kommen oft gar nicht in den Verkauf, sondern landen direkt im Müll. Bestenfalls werden sie als Tierfutter oder für den Betrieb von Biogasanlagen verwendet“, weiß Christian Walter.
Wettbewerb kurbelt Verschwendung an
Auf dem Weg zum Kunden setzen sich die Verluste fort: Während des Transports, weil z.B. die Kühltemperatur um wenige Grad schwankt oder weil die Lieferungen zu spät ankommen. In den Supermärkten, weil nicht abgenommene Ware am Ende des Tages vernichtet wird. „Supermärkte bestellen tendenziell zu viel, denn wenn ich kurz vor Ladenschluss keine Radieschen mehr anbieten kann, dann habe ich den Radieschen suchenden Kunden an die Konkurrenz verloren“, so Walter.
Profit, der Wunsch nach ständiger Verfügbarkeit und der Kundenanspruch spielen eine ebenso große Rolle wie das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD): „Wir brauchen einen anderen Umgang mit dem MHD. Das ist ein Richtwert, der von Produktionskonzernen selbst festgelegt wird. Es werden bestimmte Eigenschaften garantiert – zum Beispiel die Cremigkeit eines Joghurts. Das MHD heißt aber nicht, dass das Produkt nach diesem Datum per se verfallen ist.“ Mehr auf die eigene Sensorik zu vertrauen, rät Walter in diesem Fall.
Größter Posten: Privathaushalt
„Wir alle werfen viel zu viel weg. 39 % der weggeworfenen Lebensmittel werden in den Privathaushalten entsorgt. Mit 26 % spielt der Groß- und Einzelhandel und mit 14 % der Transport zwar auch eine Rolle. Aber das heißt, dass wir besonders im privaten Bereich mehr Aufklärung und ein geschärftes Bewusstsein für den Umgang mit Nahrung brauchen. Über alle Stationen betrachtet, werden 30-50% der produzierten Lebensmittel weggeworfen“, so Christian Walter. Mit einem Warenwert von 25 Mrd. EUR für Deutschland kein ganz unbedeutender finanzwirtschaftlicher Posten.
Massive globale Auswirkungen
Die Vergeudung von Nahrung hat weltweite ökonomische und ökologische Konsequenzen – um nur ein paar zu nennen:
- Wasser: 0,75 -1,25 Billionen m3 Wasserverlust im Jahr
- Boden: ca. 30 % Anbauflächen werden unnötig bewirtschaftet
- Müll: Der vermeidbare Lebensmittelmüll verursacht so viel CO2 wie die gesamten Niederlande im Jahr produzieren
- Kosten: für unnötige Ernte, Transport, Lagerung, Verpackung, Verarbeitung
„Würde man die Überproduktion und Verschwendung von Lebensmitteln eindämmen, so könnte man die frei werdenden Ressourcen einsetzen für bessere Qualität zu günstigerem Preis, faire Löhne vor allem für Kleinbauern, Reduktion von Arbeitszeiten und anderes“, so Walter.
Welche Rolle spielt das „Containern“?
„Containern“ bedeutet, genießbare Lebensmittel, die etwa von Supermärkten weggeworfen wurden, aus dem Müll zu retten, um sie für ihren ursprünglichen Zweck, der Ernährung, zu verwenden. Die Gründe, warum Menschen containern, sind sehr unterschiedlich: Bei vielen spielt Armut und die Notwendigkeit, Geld zu sparen, eine große Rolle. Dazu kommt eine feste Überzeugung und sicher spielt auch das Abenteuer bei einigen Lebensmittelrettern rein.
Lukas Benner dazu: „Wir verstehen Containern als eine Aktionsform, um auf Verschwendung aufmerksam zu machen. Aus rechtlichen Gründen unterstützen wir das Containern nicht, sehen aber die große Notwendigkeit für einen viel bewussteren Umgang mit Lebensmitteln – ein uraltes GRÜNES Kernthema.“
Kampagne zur Entkriminalisierung
Rechtlich gesehen ist Containern illegal, die Rettung von Lebensmittel gilt als Diebstahl und wird unter Strafe gestellt. So läuft derzeit ein Strafverfahren in Aachen gegen zwei Aktivisten, das im April verhandelt wird. Das Bündnis unterstützt die beiden Angeklagten solidarisch und fordert mit der bundesweiten Kampagne change242, das Verfahren in Aachen einzustellen, den Diebstahlparagraphen (§242 StGB) zu ändern und das Containern zu entkriminalisieren.
Im Vorfeld zum Verhandlungstag am 11. April gibt es einige Aktionstage, unter anderem ist eine Demo am 8. April geplant. Details zu allen Veranstaltungen gibt es auf der Facebook-Seite des Bündnisses.
Viele Aspekte wurden in der anschließenden Diskussion noch angesprochen: So stellte eine Vertreterin der Aachener Tafel das Thema aus ihrer Sicht dar, und das Publikum entwarf verschiedene Lösungsansätze. Trotz der erdrückenden Faktenlage machte sich am Ende der Veranstaltung etwas wie leise Hoffnung breit: Dass das Thema Lebensmittelverschwendung langsam aber sicher im Bewusstsein der Menschen ankommt. rb