Die Haushaltslage in Aachen ist schwierig, ca. 60 Millionen Schulden gilt es, langfristig abzubauen. Der Rotstift muss also dringend angesetzt werden. Aber wo?
Jeder kennt die Situation, es muss gespart werden, aber auf Liebgewonnenes will man nicht verzichten. CDU und GRÜNE haben per Ratsantrag die Verwaltung aufgefordert, die Bürger zu befragen, wo sie den Rotstift ansetzen würden. Eine Meinungsumfrage soll gestartet werden.
Wann und Wie?
Nach der Sitzung des Finanzausschusses am 18. Januar 2011 wird ein Online-Portal auf aachen.de freigeschaltet werden. Hier erhält der Bürger ausführliche Informationen zur Haushaltslage der Stadt Aachen. Wie groß ist das Volumen des städtischen Haushaltes? Wie groß sind die Einnahmen, wie gestalten sich die Ausgaben? Der Bürger erfährt wie klein die so genannte freie Spitze ist, jene Summe über die im Stadtrat überhaupt politisch entschieden werden kann. Mindestens 85 Prozent der städtischen Ausgaben sind nämlich durch Transferzuwendungen an den Bereich Kinder, Jugend und Schule, an die Städteregion u.a. für den großen Bereich der sozialen Transferleistungen, durch Zinsaufwand und Abschreibungen, durch Personalkosten und Gebührenhaushalte, durch die Zuschüsse an die ASEAG oder die Kur und Badegesellschaft usw. fixe Kosten, die bezahlt werden müssen, egal ob der Haushalt ein Defizit hat oder nicht.
Bei einem Hauhaltsvolumen von rund 725 Millionen Euro bedeutet dies, dass tatsächlich aber nur in einem Bereich von 100 – 120 Millionen Euro (15 Prozent „freie Spitze“) überhaupt Einsparungen vorgenommen werden können. Zum Ausgleich des Defizits im städtischen Haushalt von 60 Millionen Euro müsste also jeder zweite Euro gestrichen werden.
Im Anschluss an die Gesamteinführung in das Thema Haushalt kann der Bürger bei der Onlinebefragung über die Sparvorschläge der Verwaltung mit Ja oder Nein abstimmen. Jeder Sparvorschlag wird ausführlich erklärt und Argumente Pro und Contra dargestellt. So wird der Bürger etwa darüber informiert, wie viel das beitragsfreie Kindergartenjahr für Dreijährige in Aachen kostet und kann per Klick der Verwaltung mitteilen, wie seine Position zu diesem Angebot ist. Soll es dieses Angebot an die Eltern in Aachen – seiner Meinung nach – weiter geben oder eher nicht. Zusätzlich wird es ein Feld geben, in welches der Bürger seine eigenen Sparvorschläge eintragen kann.
Die Befragung läuft ca. drei Wochen. Sie wird dann von der Verwaltung ausgewertet und fließt in die Haushaltsberatungen von CDU und GRÜNEN ein.
Warum?
Die schwarz-grüne Koalition möchte mit dieser Meinungsumfrage zwei Ziele erreichen: Möglichst breit über die Haushaltslage der Kommune informieren und ein Meinungsbild der Bevölkerung zur Finanzsituation erhalten.
Die Aachenerinnen und Aachener sollen nicht nur wissen, wie es um den Haushalt ihrer Stadt steht, sie sollen sich auch einmal in einen Politiker hineinversetzen und überlegen können, wie sie sparen würden. Welche Maßnahmen würden sie streichen, wenn sie mit zu entscheiden hätten.
Michael Rau, Fraktionssprecher der GRÜNEN:
„Ein Minus von 60 Millionen Euro ist eine gewaltige Summe. Nur einen Teil des Defizits auszugleichen, erfordert schon erhebliche Einschnitte. Mit einem Katalog von Vorschlägen soll dargestellt werden, welche Konsequenzen konkrete Sparmaßnahmen haben. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sehen können, um was und um wie viel es dabei geht.“
Dem Bürger soll aufgezeigt werden, wie klein die Einsparsumme bei dem Wegfall einer vermeintlich großen Maßnahme sein kann, wie umfangreich vielleicht bei einer anderen.
Die Politiker erhoffen aufgrund dieser Meinungsumfrage, eine Tendenz innerhalb der Bevölkerung zu erkennen: Worauf sind die Bürger bereit zu verzichten und worauf vielleicht weniger.
Ein nicht repräsentatives Meinungsbild
Es wird an dieser Stelle ganz bewusst von Tendenz gesprochen, da es CDU und GRÜNEN sehr klar ist, dass nur mit einer Online-Umfrage nicht alle Bürgerinnen und Bürger in Aachen erreicht werden können. Repräsentativ kann dieses Meinungsbild nicht sein. Aber wäre auch eine Umfrage in den Aachener Tageszeitungen nicht. Es wird bei jeder Bürgerbefragung immer nur eine Teilöffentlichkeit erreicht. Da aber 87 Prozent der Bevölkerung bis 49 Jahre und die Hälfte der Bevölkerung über 50 Jahre online ist, hat diese Teilöffentlichkeit eine nicht zu vernachlässigende Größe. Vielleicht beauftragt ja die ein oder andere Oma ihren Enkel, für sie die Umfrage auszufüllen und geht auf diese Weise – wenn auch indirekt – online.
Eine Registrierung vor Teilnahme an der Umfrage soll sichern, dass keine Manipulationen durch Mehrfachabstimmung durchgeführt werden.
Das Vorbild
Als Vorbild für die Aachener Befragung könnte die Darstellungsform aus Essen (www.essen-kriegt-die-kurve.de) dienen. Essen-kriegt-die-Kurve“ war das erste Onlinebeteiligungsverfahren, das die Stadt Essen im Internet durchgeführt hat. 3.757 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich damals auf „Essen-kriegt-die-Kurve.de“ registriert. Es wurden über 113.300 Bewertungen zu den vorgelegten Einsparvorschlägen abgegeben. Darüber hinaus wurden 250 neue Bürgervorschläge formuliert.
Interessant war aber, dass zu den registrierten Usern noch rund 29.000 Internetnutzer hinzukamen, die sich ohne Anmeldung am Verfahren als Leserin und Leser informiert haben. Mit keinem anderen Verfahren hat die Stadt Essen jemals so viele Menschen erreicht.
CDU und GRÜNE erhoffen sich für Aachen eine ähnlich hohe Resonanz. Die Bürgerinformation und -befragung soll dazu beitragen, dass die dringend notwendigen Sparmaßnahmen bei den Aachenerinnen und Aachenern nicht nur auf Verständnis stoßen, sondern auch von vielen mitgetragen werden.
Der Rotstift wird auch in Aachen kommen, das steht außer Frage. Und er wird wehtun.
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