Nachdem Bundespräsident Wulf das Gesetz zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke unterschrieben hat, stellen sich viele Menschen die Frage, wie es jetzt im Widerstand gegen Atomkraft weitergehen kann? Ist jetzt nichts mehr zu ändern?
Ganz im Gegenteil, aber der Reihe nach!
Was bedeutet die fehlende Zustimmung des Bundesrates?
Der Bundesrat hat der Laufzeitverlängerung nicht zugestimmt. Andererseits mag sich mancher darüber gewundert haben, dass der Bundesrat dem Gesetz auch nicht ausdrücklich widersprochen, d.h. Einspruch eingelegt hat. Rein praktisch ist dies, durch die unterschiedlichen Koalitionen in den Ländern zu erklären. Weder schwarz-gelb regierte Länder noch rot-grün regierte Länder haben im Bundesrat die Mehrheit. Ein erheblicher Teil der Bundesländer hat nämlich große Koalitionen, z.B. Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt. Bei Nichteinigung innerhalb der jeweiligen Landesregierung enthalten sich diese Große-Koaltion-Länder im Bundesrat der Stimme. Für eine Entscheidung ist aber die absolute Mehrheit der Stimmen erforderlich. Das führt dann dazu, dass einerseits keine Zustimmung zustande kommt, andererseits aber auch kein Einspruch. So war es auch beim Gesetz zur Laufzeitverlängerung.
Streitpunkt ist zurzeit, ob das Gesetz nach den Verfassungsbestimmungen zustimmungspflichtig war oder nicht. War es zustimmungspflichtig, ist es nicht verfassungskonform zustande gekommen und wird vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben.
Was bedeutet die Unterschrift des Bundespräsidenten?
Rechtlich nichts Wesentliches, denn berufenes Organ zur Prüfung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ist nicht der Bundespräsident, sondern das Bundesverfassungsgericht. Politisch ist die Unterschrift aber schon interessant, denn noch als niedersächsischer Ministerpräsident hatte Herr Wulf die Auffassung vertreten, das Gesetz sei zustimmungsbedürftig. Ein merkwürdiger Sinneswandel also!
Ist das Gesetz zustimmungspflichtig gewesen?
Das ist die Kernfrage, über die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben wird. Die schwarz-gelbe Bundesregierung führt als wichtigstes Argument an, dass der Atomkonsens der rot-grünen Bundesregierung ja auch nicht zustimmungsbedürftig gewesen sei.
Das Argument zieht aber nicht. Denn anders als beim Atomausstiegsgesetz werden jetzt die Länder zusätzlich massiv belastet: Sie müssen länger die Atomaufsicht ausüben, an Atomtransporten mitwirken und ihre Haftungspflicht nach dem Atomgesetz wird gravierend verlängert.
Deshalb sagt neben anderen gewichtigen Stimmen auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier, dass das Gesetz eindeutig verfassungswidrig ist.
Wann wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden?
Vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen damit gute Chancen, das Gesetz für verfassungswidrig erklären zu lassen. Das Gericht wird sich mit der Entscheidung aber Zeit lassen. Eine Prozessdauer von zwei oder drei Jahren wäre nicht ungewöhnlich.
Kann die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke nach der Bundestagswahl 2013 wieder rückgängig gemacht werden?
Ja. Das Gesetz kann jederzeit wieder geändert werden. Nur Änderungen mit rückwirkender Kraft werden verfassungsrechtlich bedenklich. So kann die Verlängerung der Laufzeit für die Atomkraftwerke, die eigentlich 2011 abzuschalten wären, aus rein praktischen Gründen im Jahr 2013 nicht rückwirkend für den Zeitraum 2011 – 2013 beseitigt werden.
Soweit die verlängerten Laufzeiten in Genehmigungen bewilligt werden, ist ein Eingriff jedenfalls für die Zukunft möglich, soweit ein öffentliches Interesse (Sicherheit) vorliegt und von der Vergünstigung noch kein Gebrauch gemacht werden konnte.
Kann die Brennelementesteuer nach einem Regierungswechsel z.B. ab 2013 erhöht werden?
Ja. Auch Steuergesetze sind jederzeit für die Zukunft änderbar. Deshalb kann eine neue Regierung auch die Brennelementesteuer saftig erhöhen. Die Atomkraftwerksbetreiber haben sich zwar in dem schmutzigen Deal mit der Bundesregierung zusichern lassen, dass sie in diesem Fall weniger in erneuerbare Energien investieren müssen. Das ist aber kein Hinderungsgrund, abgesehen davon, dass es ohnehin besser wäre, wenn die Investitionen nicht wieder in der Hand der vier Energiemonopolisten bleiben.
Wie schätzt die Wirtschaft und die Börse die Laufzeitverlängerung ein?
Wirtschaft und Börse glauben offenbar nicht an ein langes Leben der Laufzeitverlängerung. Beispielsweise sind die Aktienkurse von E.on von Mai bis Dezember 2010 um 20 % gesunken. Ähnlich die Entwicklung bei RWE! Und der französische EDF-Konzern verkauft seine EnBW-Aktien und hat auch einen Dummen gefunden, der kauft: Es ist, ja wirklich, der baden-württembergische Ministerpräsident Mappus, der sich jetzt im Landtag für den überhöhten Kaufpreis, die Bürgschaft des Landes für den Kaufpreis und den Umstand rechtfertigen muss, dass der Deal von seinem persönlichen Freund bei der Morgan Stanley Bank, Dirk Notheis, gegen gutes Geld gemanagt wird. Überschrift des entsprechenden Artikels der ZEIT-online: „Mappus und der milliardenschwere Rechenfehler“. Ein weiterer Artikel aus Zeit-online ist überschrieben mit: „Warum bei E.on., RWE und Co. die Nerven blank liegen“.
Das sagt doch alles, oder?
(Ein Bericht von Dr. Thomas Griese)