Aachen sagt Ja zu Flüchtlingen
Der nachfolgende Artikel ist im Rahmen der Interkulturellen Woche (Ende September) in der entsprechenden Begleitpublikation erschienen.
Aachen hat 250.000 Einwohnerinnen und Einwohner, ist Hochschulstadt mit 40.000 Studierenden und durch die Grenzlage zu Belgien und den Niederlanden international geprägt. Die Aufnahme von Flüchtlingen hat eine lange Tradition, die unterstützt wird durch die großen Missionswerke Missio, Misereor und Sternsinger mit Hauptsitz in Aachen.
Etwa 30 Prozent aller AachenerInnen haben ausländische Wurzeln und leben seit vielen Jahren in unserer Stadt. All das bietet sicher gute Voraussetzungen für die positive Stimmung gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern, die auf Hilfe angewiesen sind.
Damit das so bleibt, sollte sich auch die Politik eindeutig positionieren. Als der Rat der Stadt Aachen 2009 in einem einstimmigen Ratsbeschluss die Aufnahme von Resettlement-Flüchtlingen beschloss, führte diese Entscheidung zu einer großen Welle der Hilfsbereitschaft und wir konnten gemeinsam mit Amnesty International, den Kirchen und Flüchtlingsinitiativen mit der »Save-me« Kampagne viele BürgerInnen als Paten interessieren und gewinnen.
Bei den bundesweit bekannten Aufmärschen der Neonazigruppe »Kameradschaft Aachener Land« haben sich tausende BürgerInnen aller Nationen gegen die Aufmärsche in Aachen und der Region gestellt und gemeinsam gegen alle fremdemfeindlichen Aktivitäten demonstriert.
Im vergangenen Jahr gründete sich spontan eine Bürgerinitiative, um einen Aufmarsch von »Pro NRW« vor einem Haus, in das Flüchtlinge einziehen sollten, zu verhindern. Das Haus wurde verschönert und mit Blumen und Plakaten geschmückt, mehrere hundert Menschen feierten ein Bürgerfest als Willkommensgruß für die neuen Mitbürger_innen. Inzwischen leben dort mehrere große Flüchtlingsfamilien, die immer noch von der Bürgerinitiative betreut werden.
Mit dem Film »So geht Deutschland«, der mit fast 600 Zuschauern in vier Kinos Premiere feierte, wurde Anfang dieses Jahres auf das Schicksal der vielen minderjährigen Flüchtlinge aufmerksam gemacht. In Aachen leben zurzeit fast 200 dieser jungen Menschen, die Hilfe und Schutz brauchen. Sie gehen in die internationalen Schulklassen, werden von Fachleuten betreut und finden Respekt und Anerkennung. Der Film zeigt, wie sie sich im Alltag zurechtfinden. Mit kleinen Anekdoten führen sie uns vor Augen, mit welchen Problemen sie in unserem Land zu kämpfen haben und erzählen von ihren Wünschen und Träumen.
Kommunale Integrationskonzepte sind erforderlich
Integration ist in Aachen ein fortwährender, gleichberechtigter Dialog, der auf »Augenhöhe« geführt wird. Schon im Jahr 2006 wurde ein Integrationskonzept im Bürgerdialog erarbeitet und konsequent umgesetzt. So ist eine Bildungsberatung für alle Neuankömmlinge der Einstieg in die Sprachförderung und berufliche Integration. Sprachkurse sind auch für Asylbewerber_innen möglich, werden seit einigen Jahren angeboten und durch freiwillige Finanzmittel der Stadt mit ca. 100.000 € pro Jahr gefördert. Hier fordern wir den Rechtsanspruch auf Zugang zu den Integrationskursen auch für Asylsuchende und Flüchtlinge. Das Erlernen der Sprache als Voraussetzung für Integration ist Bundesaufgabe und darf keine freiwillige Leistung der Kommunen sein.
Insgesamt stehen Mittel für Projekte zur Integration und die Arbeit des Kommunalen Integrationszentrums in Höhe von ca. 1,5 Millionen Euro im städtischen Haushalt zur Verfügung. Diese Finanzmittel sind vom Rat einstimmig beschlossen worden.
Das Integrationskonzept wird ergänzt durch das Integrationsmonitoring, in dem die statistischen Werte und Zahlen fortgeschrieben werden. Mit der täglichen Arbeit, den vielen Projekten von Initiativen und Vereinen, der Charta der Vielfalt, dem Tag der Integration, der Einbürgerungsfeier, dem Multi-Kulti-Fest, Diskussionen im Integrationsrat und vielen anderen Aktivitäten dokumentieren wir Wertschätzung, Perspektiven und konkrete Rahmenbedingungen.
Wir gemeinsam, die Bürgerinnen und Bürger, Politik und Verwaltung arbeiten miteinander und lösen Probleme nicht über Stimmungsmache, sondern in sachlicher, friedlicher Diskussion.
Ausblick – Kommunen brauchen Unterstützung
Wie in vielen Städten wird auch in Aachen die Lage auf dem Wohnungsmarkt schwieriger, preiswerter Wohnraum verschwindet, die Wohnungen werden immer teurer. Unsere Flüchtlinge und Asylbewerber sind bisher dezentral in kleinen überschaubaren Wohnungen und Übergangswohnheimen untergebracht. Die angestiegenen Flüchtlingszahlen (seit 2011 um 50 Prozent) und der zunehmend knappe preiswerte Wohnraum bereiten uns zur Zeit große Sorgen und erfordern Entscheidungen. Wir wollen die dezentrale Unterbringung auf jeden Fall beibehalten und werden in der nächsten Zeit mehr Wohnungen anmieten und Häuser modernisieren. Dazu brauchen wir finanzielle Unterstützung der Landes- und Bundesregierung, hier müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden, um auch in Zukunft eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen zu ermöglichen.
Ich wünsche mir deutliche Signale aus Berlin und Düsseldorf, pro Integration, für mehr Anerkennung, Respekt und Wertschätzung der Menschen, die unsere Hilfe brauchen, und die Unterstützung der Kommunen, denn Flüchtlinge sind Menschen, die in Not sind und unsere Hilfe brauchen, sie sind ein Teil unserer Stadt.
Hilde Scheidt
Der Artikel von Hilde Scheidt erschien im September in der belgeitenden Publikation zur „Interkulturellen Woche“
Was ist die Interkulturelle Woche?
Die bundesweit jährlich stattfindende Interkulturelle Woche (IKW) ist eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie. Sie findet seit 1975 Ende September statt und wird von Kirchen, Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Integrationsbeiräten und -beauftragten, Migrantenorganisationen und Initiativgruppen unterstützt und mitgetragen. In mehr als 500 Städten und Gemeinden werden rund 4.500 Veranstaltungen durchgeführt. Der Tag des Flüchtlings ist Bestandteil der IKW.
2014 Jahr fand die Interkulturelle Woche unter dem Motto „Gemeinsamkeiten finden, Unterschiede feiern." statt.