Wie kann die Integration der Flüchtlinge gelingen? Gemeinsam mit Monika Düker, GRÜNE Landtagsabgeordnete, Stefan Graaf, Leiter des Aachener Jobcenters und Ralf Woelk vom DGB Aachen diskutierten die GRÜNEN aus Stadt und Städteregion Aachen über diese und weitere Fragen. In einem waren sich die Referent*innen einig: Die EINE Lösung gibt es nicht.
Aktuelle Lage
Am 8.12.2015 zeitgleich mit der Veranstaltung kam der millionste Flüchtling in Deutschland an. Alleine nach NRW gelangen derzeit wöchentlich im Durchschnitt 15.000 Menschen. Im Vergleich waren es vor rund 10 Jahren noch 5.000 Flüchtlinge im Jahr. Die Zahl der Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt. 2012 wohnten in NRW 1800 Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen, heute sind es 78.000. Diese Entwicklung schlägt sich auch im Landeshaushalt nieder. 2012 hat das Land 220 Mio. Euro in die Flüchtlingshilfe investiert, in 2016 werden es vier Mrd. Euro sein. Dieses Volumen sei verkraftbar, wegen den hohen Steuereinnahmen und den niedrigen Zinsen, so Monika Düker MdL. Der Bund beteilige sich gerade mal mit 20% an den Kosten. Nur durch die Hilfe der Kommunen sei es bislang möglich gewesen, allen ein warmes Dach über dem Kopf zu ermöglichen. Derzeit befände man sich noch im Krisenmodus, da es noch schlechte Standards in den Unterkünften gebe. Jetzt gelte es in Qualität und Entlastung der Kommunen zu investieren.
Anfang 2015 kamen 30% der Flüchtlinge aus dem Westbalkan. Heute sind es nur noch 3%. Dreiviertel kommen aus Ländern mit guter Bleibeperspektive. Die große Zahl an Menschen stellt die Kommunen vor die Herausforderung das Problem der Wohnungsknappheit zu lösen. Nach Anerkennung des Asylstatus gibt es eine Wanderung von Osten nach Westen und vom Land in die Metropolen. Auch in der Städteregion wollen die Flüchtlinge aus der Eifel in die Stadt Aachen ziehen. „Wie können die Wohnraummittel sinnvoll verteilt werden?“ fragt Stefan Graaf, Jobcenter. Für die Jobcenter stellt die aktuelle Situation eine Herausforderung dar. In naher Zukunft werden 4.000 zusätzliche Personen erwartet, die zusätzlich in den Betreuungsbereich fallen.
Auch in den örtlichen Betrieben sei die Flüchtlingssituation omnipräsent, verdeutlichte Ralf Woelk vom DGB. Die Stimmung sei ähnlich ambivalent wie in der Bevölkerung. Einige seien sehr engagiert und helfen durch Sammlungen im Betrieb, bildeten Patenschaften etc. Es gebe aber auch kritische Stimmen, die sich etwas lauter als der Rest in Szene setzten. Das führe zu teilweise schwierigen Debatten innerhalb der Unternehmen. Aus Gewerkschaftssicht unterscheide sich die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt nicht von den anderen benachteiligten Gruppen. Es dürfe keine Sonderrollen geben, sondern eine Integration über das Regelsystem, damit kein Neid in der Gesellschaft entstehe. Grundsätzlich sei es wichtig, die Probleme zu erkennen und zu benennen, um dann entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Reformation der Sprachförderung
An erster Stelle jeglicher Integrationsmaßnahmen steht die Sprachförderung. Doch es mangelt an Deutschlehrern in der Region und die Ausstellung von Zulassungsgenehmigungen des BAMF für neue Lehrer*innen dauern lange. Außerdem werde die Zulassung von Flüchtlingen zu Integrationskursen nur sehr restriktiv genehmigt, kritisierte Stefan Graaf, Jobcenter. Das führe zur Situation, dass Menschen ein Jahr hier sind und noch kein Deutsch können, weil ihnen der Zugang verwehrt bleibe. Deshalb müsse die Infrastruktur für die Integration verbessert und Deutschkurse auch für Menschen mit ungeklärtem Asylstatus geöffnet werden. Außerdem wäre eine Kommunalisierung solcher Aufgaben vom Bund zur Erleichterung der Integration erstrebenswert.
Aufenthaltsrechtliche Hemmnisse abbauen
Neben einem verbesserten Zugang zum Spracherwerb kann Integration in Arbeit und Ausbildung nur durch einen gesicherten Ausländerstatus gelingen, so der Tenor der Referenten. Dazu müsse der Bund das Aufenthaltsrecht reformieren. Denn nach wie vor gebe es keine Sicherheit für junge Flüchtlinge in Betrieben, dass sie nach ihrer dreijährigen Ausbildung noch weitere Jahre in dem Beruf in Deutschland arbeiten dürfen. „Leider konnten wir beim Asylkompromiss das Modell 3 Jahre Ausbildung + 2 Jahre Arbeit gegenüber der großen Koalition im Bund nicht durchsetzen“, bedauerte Monika Düker MdL. Auch die anwesenden Unternehmer unterstützten diese Forderung: „Wenn junge Menschen motiviert sind, ein gewisses Talent haben und dazu auch noch freundlich und hilfsbereit sind, dann sind das wunderbare Voraussetzungen zur Integration in ein Unternehmen und dann sollen sie auch hier bleiben dürfen. Eine hohe Motivation lässt jegliche Vorurteile wegschmelzen. Nicht zuletzt kostet die Ausbildung auch Geld für die Arbeitgeber*innen, das bei einer Abschiebung weg wäre.“
Barrierearmer Zugang zum Arbeitsmarkt durch Entbürokratisierung
Als ein weiterer zentraler Faktor für eine schnelle Integration wurde ein barrierearmer Zugang zum Arbeitsmarkt genannt. Im gegenwärtigen System gebe es jedoch zahlreiche Hindernisse, kritisierte Stefan Graaf. „Wir stehen uns mit der deutschen Gründlichkeit im Weg.“ Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis dauere oftmals viel zu lange. Geduldete haben erst nach 15 Monaten Anspruch auf die Vielzahl an arbeitspolitischen Maßnahmen. Eine Reduzierung auf drei Monate sei deshalb erstrebenswert, um die Menschen schnell zu qualifizieren. Auch die Vorrangsprüfung sei ein Bürokratiemonster und dauere viel zu lange.
Um dem Sprachproblem entgegenzuwirken, wurden flexiblere Ausbildungsmöglichkeiten gefordert. Beispielsweise könnte der kleine Gesellenbrief wieder eingeführt werden. Dieser sieht vor, dass die Ausbildung zu Beginn eher praktisch orientiert, und erst später theoretische Anforderungen hinzukommen. Ein weiterer Vorschlag lautete, die Prüfungen sprachlich zu vereinfachen oder eine assistierte Ausbildungsprüfung mit einem Helfer, der die Fragen noch einmal mündlich erklärt, zu ermöglichen. In Regionalkonferenzen sollen Ideen weiterentwickelt werden.
Kompetenzerfassung und Begleitung
Wichtig seien außerdem eine frühzeitige Kompetenzerfassung und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse, so Stefan Graaf. Die Schwierigkeit liege darin, die Vielfalt an Abschlüssen in Einklang mit dem deutschen System zu bringen. Hier seien gute Ideen gefragt, wie entbürokratisiert werden kann, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Qualitätsstandards. Ein erstes Unterstützungsangebot der Agentur für Arbeit, das die Potentiale von Flüchtlingen frühzeitig erkennen und fördern soll, gebe es bereits: Early Intervention – Integration von Anfang.
Weiter gab der Leiter des Jobcenters zu bedenken, ob das gegenwärtige System der Sprachförderung überhaupt sinnvoll sei. „Momentan gibt es eine Liste an Institutionen, aus denen sich der Flüchtling eine Schule aussuchen kann. Dabei fehlt es an Koordinierung und Begleitung. Gerade wenn Menschen aus dem Jobcenter in Arbeit entlassen werden, braucht es Kümmererstrukturen, mit einer professionell geleisteten, nachsorgenden Betreuung.“ Die Stadt Düren habe beispielsweise einen Jobcoach eingestellt, der auf die individuellen Bedürfnisse eingehen kann ohne bürokratische Hürden wie bei den Vorgaben des Europäischen Sozialfonds oder der Arbeitsagentur. Auch für die Städteregion könne das gehen.
Grundsätzlich müsse man sich die Frage stellen: „Wollen wir eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt oder eine verstärkte Vermittlung in Ausbildung, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken?“ Langfristig gesehen, sei es besser in Ausbildung zu investieren. Die Mehrheit der Unternehmen sehe die Flüchtlinge eher als Potential von Hilfsarbeitern. 20% könnten nach Einschätzung der Unternehmen Facharbeiter werden. Jedoch: 80% der Zuwanderer haben keine formale Qualifikation, 20% davon sind Analphabeten.
Des Weiteren sei die Begleitung und Unterstützung von traumatischen Erlebnissen wichtig. Auch der Familiennachzug müsse gewährleistet werden. „Es ist nachvollziehbar, dass, wenn man in Sorge um die Familie ist, sich nur schwer auf andere Dinge konzentrieren kann“, äußerte ein Unternehmer.
Bereits in der Schule beginnen
Bereits frühzeitig in der Schule mit der Berufsfindung beginnen, wurde als Appell der anwesenden Schulvertreter*innen geäußert. Dazu könnte das Jobcenter in die Schulen gehen und zeigen, welche Berufe es gibt. Denn viele deutsche Berufe seien in einigen Ländern nicht bekannt. Die Berufsschulpflicht könnte auch von 21 auf 25 Jahre erhöht werden, forderte Cafe Zuflucht.
Wie wichtig die Bildungsmöglichkeiten für Flüchtlinge sind, verdeutlichten zwei junge Männer aus dem Publikum. „Eine Ausbildung ist für mich wie ein Paradies. In Guinea gibt es keine Ausbildung“, meinte ein junger Mann aus Guinea. Und ein junger Mann aus Afghanistan ergänzt: „In Afghanistan kannte ich keine Schule. Die Schule in Deutschland ist schwer, aber ich werde das schaffen, weil ich das will.“ Diese Beispiele zeigen, dass es sich lohnt in Ausbildung zu investieren, so Hilde Scheidt.
Fazit: Mehr Zusammenarbeit und bessere Koordinierung des Ehrenamtes
Abschließend wurden vom Podium die zentralen Entwicklungspunkte zusammengefasst. Ralf Woelk vom DGB: „Wir können vor Ort mehr als man uns auf Landes- und Bundesebene an Kompetenzen zur Verfügung stellt. Wichtig ist, dass die Vernetzung noch besser gelingt.“ Stefan Graaf vom Jobcenter: „Formale Dinge müssen entschlackt werden und wir brauchen ein enges, koordiniertes Zusammenwirken der vielen unterschiedlichen Akteure im Förderungssystem.” Monika Düker, MdL: “Ich werde mich auf Landesebene dafür einzusetzen, dass die Koordinierung des Ehrenamtes und die Netzwerkarbeit besser unterstützt werden. Denn wenn etwas zur Integration beiträgt, dann die persönlichen Beziehungen und Patenschaften, die auch hauptamtlich begleitet werden müssen.“
Zum Abschluss des Abends im Centre Charlemagne erklärte Hilde Scheidt: „Die derzeitige Situation stellt keine Krise, sondern eine Chance für die Städteregion dar. Wir schaffen das, damit ihr (die Flüchtlinge) das schafft.“
Melanie Seufert