Lasst uns zusammenhalten!

Haushaltsrede unserer Fraktionssprecherin Julia Brinner zur Verabschiedung des städtischen Haushalts 2025

© Foto: Anna Lisa Grabe

Was ist das eigentlich für eine Zeit, in der gerade leben?

In den USA sägt ein selbstherrlicher Patriarch mit beängstigend großem Erfolg an den Pfeilern der Demokratie – in einem Land, dass sich selbst stolz als „Heimat der Demokratie“ begreift. Stück für Stück kündigt er internationale Bündnisse auf und wendet sich von ehemaligen engen Verbündeten ab – sprich: auch von uns. Gleichzeitig scheint es aktuell so, als könnte der russische Autokrat Putin mit seinem grausamen Angriffskrieg Erfolg gehabt haben, indem er tatsächlich erhebliche Landflächen in der Ukraine völkerrechtswidrig erobert haben wird. Die demokratieverachtende Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance bei der Münchener Sicherheitskonferenz setzt dem ganzen Drama das Sahnehäubchen auf.

Es ist unmöglich, in Anbetracht all dieser Ereignisse wegzuschauen: Wir müssen anerkennen, dass die liberale Weltordnung ins Wanken geraten ist und dass die globale Ordnung zwischen den Staaten gerade dabei ist, sich neu zu sortieren.

Nun bin ich, sind wir alle, weder NATO-Gesandte noch Mitglieder des Deutschen Bundestags. Wir müssen weder darüber entscheiden, wie wir uns gegenüber diversen autokratischen Herrschern positionieren wollen, noch, welche Höhe ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr haben sollte. Und doch ist die Zeitenwende keine reine Bundesangelegenheit.

Sie wirkt sich bereits seit einigen Jahren unmittelbar auf unser Leben und unseren politischen Alltag in Aachen aus: Zum Beispiel, wenn das Geld in den Kommunen fehlt, weil alle öffentlichen Haushalte immer angespannter werden. Wenn Bundes- und Landesförderprogramme und -Zuschüsse gestrichen werden müssen, weil uns die Schuldenbremse erdrückt und der Bund die Verteidigungsausgaben stark steigern muss, dann spüren wir das unmittelbar in Aachen. Und auch als durch den Krieg in der Ukraine die Inflation gestiegen ist und die Butter plötzlich 40% teurer war, wurden viele Aachener*innen unmittelbar stark belastet.

Außerdem verfangen auch bei uns zunehmend rückwärtsgewandte, antidemokratische Narrative: Bei der Bundestagswahl vor drei Wochen hatten wir in Aachen beinahe ein zweistelliges Ergebnis einer faschistischen Partei zu beklagen.

In diesen Zeiten könnten wir leicht den Mut verlieren, die Zuversicht aufgeben, den Kopf in den Sand stecken. Es wird doch eh nicht besser, könnten wir sagen.

Aber aufzugeben, das ist nicht unser Ding in Aachen, und so wie die Alemannia gerade für den Klassenerhalt kämpft, so müssen auch wir kämpfen. Und deshalb gibt es für mich nur ein Gebot, dass wir uns jetzt zu Herzen nehmen sollten: Zusammenzuhalten!

Zusammenzuhalten für all das, was uns wichtig ist, für das, was uns als Stadtgesellschaft zusammenschweißt, was wir unseren Kindern beibringen und das, was uns unausgesprochen mit den Menschen verbindet, mit denen wir beim Bäcker in der Schlange stehen.

Gemeinsam als Europäerinnen und Europäer müssen wir für unsere Werte von Demokratie und Freiheit, Freundschaft und offene Grenzen kämpfen, die für mich als Generation Erasmus nicht mehr wegzudenken sind. Jeder von uns hat doch Freunde, die jenseits der Grenzen leben. Einen Schlagbaum an der Grenze zu Belgien, einen Krieg gegen Frankreich, kann und will ich mir gar nicht vorstellen. Gemeinsam als demokratische Fraktionen müssen wir daher stark sein gegen rechte Narrative und Desinformation. Gemeinsam als Stadtgesellschaft müssen wir zusammenhalten für eine offene, bunte Gesellschaft, die aus vielfältigen Menschen mit verschiedensten Herkünften, Religionen, sexuellen Orientierungen und Fähigkeiten besteht!

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrte Frau Grehling, liebe Ratskolleginnen und -Kollegen, liebe Besucherinnen und Besucher,

es gab schon einmal leichtere und unbeschwertere Zeiten, um einen kommunalen Haushalt aufzustellen, zu beraten und zu beschließen. Und dennoch werden wir als Grüne und SPD heute einen genehmigungsfähigen, soliden und breit aufgestellten Haushaltsplan beschließen, der die großen Transformationsprozesse unserer Stadt hervorragend weiterführt. Dass Sie diese Quadratur des Kreises bewältigt haben, dafür möchte ich Ihnen, Frau Grehling, im Namen meiner Fraktion herzlich danken und unsere Anerkennung aussprechen.

Denn ein genehmigungsfähiger Haushalt ist für eine NRW-Kommune zu einem selten Schatz geworden, den es zu hüten gilt. Laut Städte- und Gemeindebund bezeichnen 95% der NRW-Städte und Gemeinden ihre Haushaltssituation für die kommenden fünf Jahre als eher schlecht oder sehr schlecht. Viele von ihnen rutschen gerade in die Überschuldung. Von einer Überschuldung sind wir in Aachen glücklicherweise weit entfernt, weil unsere robuste, vielfältig aufgestellte Unternehmensstruktur uns solide Gewerbesteuereinnahmen einbringt – trotz Dämpfer im Jahr 2024. Und gleichermaßen, weil hier immer großer Wert auf eine verantwortungsvolle Haushaltsführung gelegt wurde und von uns als Koalition weiterhin gelegt wird.

Dieser grün-rote Haushalt ist der dritte, den wir gemeinsam als Koalition verabschieden, und somit war bereits der Haushaltsentwurf so stark von unseren gemeinsamen Projekten und politischen Beschlüssen geprägt, dass wir in den Ausschussberatungen nicht mehr viel hinzufügen mussten.

Unser Haushalt beschreibt die richtige Balance aus Sparsamkeit, um der schwierigen Haushaltslage gerecht zu werden, und Investitionen in eine sozial gerechte, zukunftsfähige, lebenswerte Transformation unserer Stadt.

Denn in einer Zeit, in der sich alles verändert, ist es keine Option, stehenzubleiben.

Vielfach wird uns Grünen ja vorgeworfen, es ginge uns immer nur ums Klima. Das möchte ich an dieser Stelle bekräftigen: Wir stellen das Klima in den Mittelpunkt - aber nicht nur das meteorologische Klima, sondern vor allem auch das gesellschaftliche und soziale Klima in unserer Stadt.

Als Koalition investieren wir in sozialen Wohnungsbau, damit die Mieten wieder bezahlbar werden. Dafür gründen wir eine Wohnungsbaugesellschaft, die nicht nur neue Wohnungen bauen, sondern auch Bestandswohnungen energetisch sanieren wird.

Mit unseren Beschlüssen treiben wir die Mobilitätswende voran, mit dem Ziel, dass jeder und jede in Aachen wirklich die Wahl hat, ob er oder sie sich zu Fuß, mit dem Rad, dem e-Scooter, dem Bus oder dem Auto durch die Stadt bewegen will – und nicht aus Alternativlosigkeit das Auto nutzen MUSS. Für den großen Durchbruch bei der nachhaltigen Mobilität arbeiten wir weiter mit Priorität an der Regiotram.

Wir investieren in den Bau von Kitas und gehen den Personalmangel an, um allen Eltern eine gute, wohnortnahe Betreuung zu ermöglichen, auf die sie sich verlassen können.

Wir schaffen gerade für Aachener*innen in Räumen mit schwächeren Einkommensstrukturen die Möglichkeit, Sport zu treiben, indem wir genau in diesen Sozialräumen Kunstrasenplätze schaffen und Calisthenics-Anlagen bauen und indem wir den Sportpark Soers aktiv für alle öffnen, statt ihn nur dem Spitzensport vorzubehalten.

Beim Klimaschutz halten wir weiter Kurs, indem wir die kommunale Wärmeplanung beschließen, die Beratung für Sanierung und Heizungstausch ausbauen und viele weitere Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden in Betrieb nehmen. Insgesamt stellen wir in den kommenden vier Jahren die stattliche Summe von 134 Mio. Euro für Klimaschutz und Mobilitätswende zur Verfügung – ein eindeutiges Bekenntnis dazu, dass wir den Klimanotstand nach wie vor ernst nehmen, den wir 2019 ausgerufen haben. Denn die 1,5 Grad-Marke wurde im vergangenen Jahr erstmals überschritten, die Folgen sind dramatisch. Im letzten Jahr haben sie sich in Aachen durch massive Missernten gezeigt, die für die Landwirte kaum zu verkraften sind.

Mit dem neuen Housing-First-Programm unterstützen wir Obdachlose, die zu den allerschwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft gehören, dabei, eine eigene Wohnung zu bekommen, ohne dass sie sich vorher „beweisen“ mussten. Denn jeder und jede hat ein Recht auf ein Dach über dem Kopf, eine Heizung und ein eigenes Bett. Uns ist es wichtig, wohnungslosen Menschen mit Empathie zu begegnen und nicht nur im Kontext von „Ordnung und Sicherheit“ über sie zu sprechen.

Wir fangen trotz der angespannten Haushaltslage an vielen Stellen Kürzungen auf, die soziale Träger von Städteregions-, Landes- und Bundesseite erfahren mussten, darunter das Projekt Querbeet und die Anerkennungsberatung für ausländische Berufsabschlüsse – denn eine Erosion des starken sozialen Netzes in Aachen kommt für uns nicht in Frage. Alle Kürzungen werden wir, das muss ich der Ehrlichkeit halber sagen, aber nicht auffangen können – denn unsere finanziellen Spielräume als Kommune sind begrenzt. Hier sehen wir das Land und den Bund in der Pflicht.

Auch Bildung und Kultur lassen wir trotz knapper Kassen nicht unter die Räder kommen, sondern sorgen dafür, dass sie der breiten Stadtbevölkerung zugutekommen, z.B. mit den neuen Sonntagsöffnungszeiten für die Bibliothek, mit dem erfolgreichen Stadtglühen-Festival und natürlich mit dem Bau des neuen „Haus der Neugier“.

Gleichwohl können wir als Kommune, als Koalition, als Kämmerin nicht alle Wünsche erfüllen, die aus unseren Fraktionen und der Stadtgesellschaft an uns herangetragen werden – das liegt bei der schwierigen Haushaltslage auf der Hand. Priorisieren und Sparen sind in dieser Situation keine Schwäche, sondern zeigen, dass wir verantwortungsvoll handeln. Darum haben wir mit unserem Ratsantrag im vergangenen Sommer einen umfangreichen Sparprozess angestoßen, in dem wir gemeinsam mit der Verwaltung Projekte priorisieren wollen. Dieser Prozess hat mit dem vorliegenden Haushaltsplan begonnen und wird auch in den folgenden Jahren seine Wirkung entfalten. Dabei können durch kluge kreative Sparmaßnahmen durchaus positive Synergieeffekte erzielt werden – z.B. durch die geplanten Tage der kulturellen Bildung, die neben einer finanziellen Einsparung zur Erschließung neuer Zielgruppen in den Museen führen werden.

Mit unserem Haushalt schaffen wir sozialen Zusammenhalt in Aachen!

Denn eine Stadtgesellschaft kann nur zusammenhalten, wenn die Differenzen zwischen Armen und Reichen und auch zwischen Ur-Öchern und Zugezogenen, so gering wie möglich sind – konkret: wenn man auch mit einem nicht-deutsch klingenden Namen im Bewerbungsprozess in die nächste Runde eingeladen wird, wenn man auch von einer Arbeit an der Supermarktkasse seine Miete bezahlen kann, wenn jedes Kind die Chance hat, in eine gute Kita und auf eine gute Schule zu gehen, wenn man auch ohne eigenen PKW mobil ist, wenn man zum Grillen in einen nahegelegenen Park gehen kann, weil man vielleicht keinen eigenen Garten mit großer Veranda hat! Wohnen, Bildung, Sport, Mobilität, Grünflächen zur Erholung und Kultur dürfen nicht den Reichen vorbehalten sein, sondern müssen für alle erschwinglich sein. Das ist der Nukleus unseres grün-roten Haushalts.

Das schafft gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Gerade das Haus der Neugier zeigt uns, dass Zusammenhalt uns nicht nur gemeinsam gegen Bedrohungen von rechts stark macht, sondern dass es uns auch bei Großprojekten hilft, fraktionsübergreifend gut zusammenzuarbeiten. Wir alle sehen, was für einen großen Mehrwert dieser neue Ort der Begegnung, der Bildung und des Entdeckens für Aachen haben wird. Deshalb bin ich glücklich darüber, dass wir in allen Abstimmungen bisher immer eine gemeinsame Linie haben finden können und bin sehr zuversichtlich, dass wir auch in den kommenden Jahren mit allen demokratischen Fraktionen gemeinsam das Haus mit Leben füllen werden – so wie es auch schon am Büchel erfolgreich funktioniert hat.

Zusammenzuhalten heißt für mich als Kommunalpolitikerin aber auch, mit der Verwaltung zusammenzuhalten. Denn die Verwaltung ist weder unsere Gegenspielerin noch unsere Handlangerin, deren einzige Aufgabe es wäre, gefügsam unsere Befehle auszuführen. Sie ist unsere Partnerin bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen Stadt. Als solche wünschen wir uns von Dezernent*innen und Fachbereichsleitungen, aber auch von Teamleitungen und Sachberarbeiter*innen Eigenverantwortung und Entscheidungsfreude, um Entscheidungsspielräume proaktiv zu nutzen. So können wir Prozesse schneller und schlanker machen, Bürokratie abbauen, mit dem gleichen Personal mehr Projekte umsetzen und den Mitarbeitenden ein motivierendes Arbeitsumfeld schaffen.

Das geht einher mit Vertrauen und Zutrauen. Nur wenn aktives Handeln Einzelner nicht durch alle Ebenen und durch mehrere Abteilungen muss, nur wenn Fehler oder Misslingen nicht sofort mit Paragraphen, Schimpfen und Missachtung gestraft werden, kann die Verschlankung von Prozessen gelingen.

Als Koalition möchten wir daher bekräftigen, dass wir zur Eigeninitiative einladen und den Zusammenhalt mit der Verwaltung großschreiben.

Einen weiteren wichtigen Punkt habe ich noch mitgebracht: Die anstehenden Wahlen.

Schließlich funktioniert eine Haushaltsrede im Wahljahr sicherlich nicht ohne einen Blick auf die anstehenden Kommunalwahlen. Was bedeutet die Notwendigkeit von Zusammenhalt für eine Rats- und Oberbürgermeister*innen-Wahl?

Sicherlich nicht, dass alle Kandidat*innen und Parteien sich gegenseitig über den grünen Klee loben oder gar Wahlempfehlungen für die anderen abgeben. Das wäre sicherlich nicht im Sinne einer lebendigen Demokratie. Und doch sind für mich vor allem zwei Dinge wichtig, die sich unter dem Schlagwort Zusammenhalt wiederfinden:

Zum einen sollten wir uns fragen, wen wir in diesem Wahlkampf zum Hauptgegner erklären. Ich würde empfehlen, sich dabei nicht an Markus Söder zu orientieren, sondern als Demokrat*innen zueinander zu stehen. Wir müssen die Wähler*innen der AfD wieder zurück zu holen, indem wir ihnen gute Angebote machen – denn sonst gewinnen die Trumps, Putins und Orbans dieser Welt.

Zum anderen möchte ich an uns alle appellieren, hart in der Sache, aber weich zu den Menschen zu sein. Was unsere Stadt braucht, ist ein Wahlkampf, in dem darum gerungen wird, wie wir die sozial schwächeren Mitglieder unserer Gesellschaft stärker unterstützen können, wie wir Mobilität gestalten wollen, wie wir schnellstmöglich sozialen Wohnraum schaffen wollen, welche Konzepte wir für eine attraktive, lebendige Innenstadt haben, und welche Ansätze wir haben, um unsere Wirtschaft in einer schwierigen Zeit bei der Transformation zur Klimaneutralität zu unterstützen.

Was wir nicht brauchen, sind persönliche Angriffe auf andere, sobald sich eine noch so kleine persönliche Schwäche auftut.

Wenn wir diese Vorsätze umsetzen, gewinnt die Demokratie, die Stadtgesellschaft und somit jeder und jede einzelne in Aachen.

Ich möchte Sie daher alle einladen, zusammenzuhalten: Sie als Bürgerinnen und Bürger, als Mitglieder der demokratischen Fraktionen, als Angehörige der Verwaltung. Im Wahljahr und darüber hinaus.

Das Schlusswort möchte ich in diesem Sinne einer Christdemokratin überlassen, die schon 2015 gesagt hat: Wir schaffen das!

Zurück