Ratsantrag Essbare Stadt

Aachen soll mit essbaren Nutzpflanzen versehen werden.

Ratsantrag 35 /2023

die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und DIE Zukunft beantragen, im Rat der Stadt Aachen folgenden Beschluss zu fassen:

Die Verwaltung wird beauftragt, ein Konzept zu erstellen, wie Aachen eine so genannte „Essbare Stadt“ werden kann. Dafür sollen entsprechende Nutzpflanzen identifiziert und gepflanzt werden, so dass eine signifikante Menge an essbaren Früchten und Nüssen im Aachener Stadtgebiet wächst und bedarfsgerecht geerntet werden kann. Hierfür sollen Best-Practice-Beispiele anderer Städte (z.B. Andernach, Oberhausen) als Vorbild dienen.
Bereits bestehende zivilgesellschaftliche Initiativen sollen in die Planungen zur essbaren Stadt einbezogen werden.

Alle Orte, Sorten und Erntezeiten sollen inventarisiert werden und mit einem Vermerk auf einer digitalen Plattform (z.B. mundraub.org und/oder aachen.de) veröffentlicht werden. Die Stadtverwaltung soll sich auch um einen Kontakt zur EU bemühen, da die Mitgliedschaft im "edible cities network" gefördert wird.

Hintergrund und Ausführung:

In Anbetracht der wachsenden Weltbevölkerung und der drohenden Klimakrise ist eine lokale Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln in ausreichender Quantität und Qualität eine enorme Herausforderung. Die Landwirtschaft gerät zunehmend durch sich verknappende Ressourcen (Wasser, Dünger, Anbaufläche) unter Druck. Um weiterhin die Ernährung der Bevölkerung zu gewährleisten sind deshalb neue Konzepte notwendig. Eines davon besteht in der „Essbaren Stadt“, also dem Anbau von einfachen Lebensmitteln auf urbanen Freiflächen zur partiellen Nahversorgung. Dieses wird bereits in anderen Städten umgesetzt und soll zukünftig auch in Aachen Anwendung finden.

Für die Anpflanzung der Nüsse und Obst tragenden Bäume und Sträucher bieten sich vornehmlich stark frequentierte öffentliche Grünflächen in Innenstadtnähe (Parkflächen, Elisengarten, Büchel, Burtscheider Kurgarten, …) an. Jedoch sollten auch in den Stadtteilen bzw. Randlagen auf geeigneten Flächen Pflanzungen vorgenommen werden, um auch sozial schwache Bevölkerungsgruppen teilhaben zu lassen. Eine gewisse Nähe zu Grundschulen und Kindertagesstätte ist ebenfalls vorteilhaft, um Lernräume für Kinder zu schaffen. Idealerweise könnte das Projekt seitens der Stadt auch mit einem entsprechenden Bildungsprogramm ergänzt werden.

1. Ökologische Vorteile

Mit dem Anbau von Lebensmitteln im urbanen Gebiet können Lieferungen partiell substituiert werden, so dass Emissionen durch Transport, Verteilung und Aufbewahrung entfallen. Zudem kann durch geschickte Anlage der Grünflächen die Biodiversität gesteigert [Kaiser, 2017] [Daniels et al., 2020] und die Funktionalität der Vegetation erhöht werden [UBA, 2018]. Damit kann letztlich die Grüne Infrastruktur Aachens gefördert werden, die in ihrer Summe ein Baustein einer vorteilhaften Stadtplanung ist [EU Komm., 2016].

2. Vorteile der Stadtentwicklung

Die Wertsteigerung genutzter und ungenutzter Grünflächen im Stadtgebiet kann zu einem erhöhten Wohlbefinden der Aachener Bürgerinnen und Bürger führen [UBA, 2020]. Insbesondere die Gestaltung von frequentierten Parkflächen bietet die Möglichkeit, durch gezielte Wahl der Vegetation die Wertigkeit zu erhöhen.

3. Bezug zur Ernährung und Lerneffekte

Einer der Kernpunkte des Konzepts „Essbare Stadt“ ist der kostenfreie Zugang zu hochwertigen, gesunden Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Nüssen. Dies ist insbesondere für unterprivilegierte Gruppen von Vorteil. Durch kurze Zeiträume zwischen Ernte (hier: Aufsammeln oder Pflücken) und Verzehr besteht zudem kein Qualitätsverlust durch Transport und Lagerung. Außerdem besteht ein direkter Beitrag zur Förderung des Bewusstseins für nachhaltige Ernährung durch die unmittelbare Erfahrung von Anbau und Ernte [Kaiser, 2017].

Hinweis: Die Steuerung der Ernte kann durch ein einfaches Ampelsystem erfolgen: Rot: Obst/Gemüse ist noch nicht reif und darf nicht geerntet werden. Gelb: Ernten nur bei Hunger. Grün: Erntezeit.

4. Umsetzung in Andernach

In der Stadt Andernach wird bereits seit 2010 im Rahmen des Projekts „essbare Stadt“ die Nutzung von öffentlichen Grünflächen für den Anbau von Gemüse und Beeren verwirklicht. Die Erfahrung, die dort gewonnen wurden, können auch für Aachen als Best Practice-Beispiele für die Umsetzung dienen. Zunächst wurde das Projekt dort „top-down“ von der dortigen Verwaltung aufgesetzt und später erst als „bottom-up“ von der Zivilgesellschaft weiterentwickelt, nachdem das Projekt in der Bevölkerung wahrgenommen worden war. Die geschaffenen Flächen werden zusehends als Kommunikationsraum erfahren. Die Steuerung der Ernte erfolgt durch ein einfaches Ampelsystem: Rot: Obst ist noch nicht reif und darf nicht geerntet werden. Gelb: Ernten nur bei Hunger. Grün: Erntezeit [Kosack].

Mit freundlichen Grüßen

 

Julia Brinner                                                              Jörg Bogoczek
Fraktionssprecherin GRÜNE                                    Umweltpolitischer Sprecher DIE Zukunft

Michael Servos
Fraktionsvorsitzender SPD

 

5. Quellennachweis:

[Daniels et al.] Daniels, B., Jedamski, J. Ottermanns, R., Ross-Nickoll, M., A „plan bee“ for cities: Pollinator diversity and plant-pollinator interactions in urban green spaces. PLoS One 15(7), 2020.

[EU Komm.] Europäische Kommission, Supporting the Implementation of Green Infrastructure, 2016.

[Kaiser] Kaiser, M., Werkstätten des Wandels? Essbare Städte und ihr Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation, in: Markus Keck, Heiko Faust, Michael Fink, Max Gaedke, Tobias Reeh (Hg.): Transformationsräume. Lokale Initiativen des sozial-ökologischen Wandels, ZELTForum – Göttinger Schriften zu Landschaftsinterpretation und Tourismus, Band 9, 62, 2017.

[Kosack] Kosack, L., Essbare Stadt Andernach, www.andernach.de/formulare/formulare-4/essbare-stadt-andernach-text.pdf

[UBA I] Umweltbundesamt, Nischen des Ernährungssystems: Bewertung des Nachhaltigkeits- und Transformationspotenzials innovativer Nischen des Ernährungssystems in Deutschland, in: Zwischenbericht im Rahmen des Vorhabens „Sozial-ökologische Transformation des Ernährungssystems – Politische Interventionsmöglichkeiten auf Bais aktueller Erkenntnisse der Transformationsforschung“, 2020.

[UBA II] Umweltbundesamt, Böhme, C., Franke, T., Preuß, T., Schwarze, K., Winkler-Kühlken, B., Schipperges, M., Möglichkeiten der verstärkten Nutzung von Synergien zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit in Programmen wie der „Sozialen Stadt“, in: Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, 74, 2018.

 

 

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